"Die Problematik der antimikrobiellen Resistenz (AMR) sollte bei der Stadtplanung und der Entwicklung von Wohngebieten für jeden ein Thema sein", sagt Dina Gvineria, Architektin bei Dinelljohansson, einem in Stockholm ansässigen Unternehmen, das sich auf nachhaltiges Wohnen spezialisiert hat.
AMR tritt auf, wenn sich Mikroorganismen so verändern, dass sie nicht mehr auf zu ihrer Behandlung eingesetzte antimikrobielle Medikamente ansprechen. Es gibt verschiedene Arten von antimikrobiellen Mitteln, die gegen verschiedene Arten von Mikroorganismen wirken, wie z. B. Antibiotika gegen Bakterien, Antiviralia gegen Viren und Antimykotika gegen Pilze. Die Entwicklung von Resistenzen wird durch den unsachgemäßen Einsatz dieser Medikamente beschleunigt, etwa durch die Verwendung von zur Behandlung von Bakterien bestimmten Antibiotika bei Virusinfektionen wie Grippe oder als Wachstumsförderer in der Landwirtschaft.
Die Entstehung und Ausbreitung von AMR ist eng mit der Umwelt verbunden. Zur Bekämpfung von AMR kommt es daher entscheidend darauf an, die umweltbedingten und sozialen Determinanten von Gesundheit zu verstehen und gezielt ins Visier zu nehmen. Menschen in prekären Lebenssituationen sind in Bezug auf Infektionen mit resistenten Erregern möglicherweise einem höheren Risiko ausgesetzt oder verfügen über weniger Mittel und Fähigkeiten, um die Folgen zu bewältigen. Doch sie werden bei Maßnahmen gegen AMR oft vernachlässigt. Zu den vielversprechendsten, aber noch nicht ausreichend genutzten Möglichkeiten beim Umgang mit AMR gehören Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit, die für alle Mitglieder der Gesellschaft die Lebensbedingungen verbessern und so die Infektionsprävention und einen gesunden Lebensstil fördern.
Die Zusammenhänge zwischen städtischen Wohnverhältnissen und AMR
Städte können als Sammelbecken für AMR-Erreger dienen und durch ihre bebauten Umgebungen, öffentlichen Verkehrsmittel und Freizeitparks sowie das Verhalten der Menschen die Persistenz und Ausbreitung von AMR erhöhen. Bei unzureichenden Wohnbedingungen sind Menschen verschiedenen Gesundheitsrisiken ausgesetzt, u. a. einem erhöhten Risiko für schwer zu behandelnde Infektionskrankheiten. Energieineffiziente und schwer oder teuer zu beheizende Wohnungen können aufgrund feuchter Gebäudestrukturen und des Wachstums von Schimmel und Bakterien zu Atemwegserkrankungen beitragen. In der Europäischen Region der WHO leben einkommensschwache Haushalte in ungünstigen Wohnverhältnissen, u. a. mit Feuchtigkeit und mangelnder Beheizung. Außerdem sind Zusammenhänge zwischen kalten Wohnungen und Brennstoffarmut und einer erhöhten Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen belegt.
Dies verdeutlicht den Bedarf an sicheren und effizienten Energielösungen für den Wohnungsbau unter Berücksichtigung der jeweiligen Klimazone. Die Temperaturen in Innenräumen sollten hoch genug sein, um die Bewohner vor den schädlichen Auswirkungen von Kälte auf die Gesundheit zu schützen. In Klimazonen mit einer kalten Jahreszeit sollte eine sichere und effiziente Wärmedämmung installiert werden. Ohne ausreichende Belüftung sammelt sich Feuchtigkeit an, was wiederum zu einer feuchten Bausubstanz und zur Bildung von Schimmel und Bakterien führen kann. Die Verbesserung der Wohnverhältnisse ist eine wichtige Gesundheitsschutzmaßnahme, die allgemein der Verringerung der Belastung durch Infektionen und speziell der Senkung des Bedarfs an Antibiotika dient.
"Stadtplaner können auf verschiedene Weise zu einem gesunden Leben beitragen und gegen die globale Bedrohung durch AMR vorgehen, wenn die Verantwortlichen, einschließlich der Kommunen, auf intelligente und nachhaltige Optionen setzen", sagt Dina.
Maßnahmen nach dem Plusenergie-Konzept als Beispiel für die Verbesserung von Wohnbedingungen
Stockholmshem, ein öffentlicher Wohnungsbaukonzern, beauftragte Dinas Büro als Teil eines fachübergreifenden Teams mit der Planung eines Pilotprojekts für Wohngebäude mit Plusenergie, die architektonisch äußerst energieeffizient sind. Die Gebäude sind miteinander verbunden und nutzen ein gemeinsames Heizsystem mit einer Erdwärmepumpe, die auf einem hohen Grad an Wärmerückgewinnung aus der Luft und dem Abwasser basiert. Das Konzept orientiert sich an traditionellen Landhäusern, die ursprünglich für das schwedische Klima entworfen wurden. Dabei beschränkte sich der Wohnraum auf einen einzigen Raum, der im Winter beheizt wurde und sich im Sommer auf den Rest des Hauses und darüber hinaus ausdehnte - ein intelligentes und pragmatisches Beispiel für Energieeffizienz.
"Bei Plusenergie-Häusern geht es sowohl um Energiesparen als auch um Energieerzeugung", sagt Dina. "Die Wohnungen sind recht klein, aber jeder Wohnraum ist so konzipiert, dass er sich in der wärmeren Jahreszeit erweitern lässt. So ist der Wohnraum in der Größe flexibel und passt sich den verschiedenen Jahreszeiten an. Zur Energieerzeugung sind das Dach und ein Teil der Fassaden mit Photovoltaik verkleidet, die Wärmeenergie in Strom umwandelt. Um die Wirkung zu maximieren, ist der Dachfirst des Gebäudes schräg, sodass die Dachflächen vollständig nach Süden ausgerichtet sind. Das nachhaltige Energiesystem sorgt in Kombination mit einem gut funktionierenden Feuchtigkeitsisolierungs- und Belüftungssystem für ein gesundes Raumklima. Indem wir die Heizsysteme so energieeffizient wie möglich gestalten, tragen wir dazu bei, die mit den Wohnbedingungen verbundenen Gesundheitsrisiken zu verringern und eine nachhaltige und klimafreundliche Lösung anzubieten und finanzielle Härten aufgrund von Energiekosten abzuwenden."
Architekten können eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung von AMR spielen, indem sie Umgebungen schaffen, die die Ausbreitung resistenter Krankheitserreger einschränken, die Hygiene verbessern und die Infektionsbekämpfung durch eine gut durchdachte Gestaltung optimieren. Das Plusenergie-Pilotprojekt ist nur ein Beispiel, wie sich antimikrobielle Resistenzen in der Stadtplanung bekämpfen lassen. Es gibt weitere innovative Entwicklungen, die bei der Infektionsprävention und -bekämpfung eine Rolle spielen können, etwa die Verwendung spezieller Oberflächen und Materialien beim Bauen, beispielsweise für häufig berührte Bereiche wie Türklinken und Handläufe.
In Schweden orientieren sich Architekten und Wohnungsbauunternehmen an den Vorschriften der Gemeinden, um die Beteiligung aller relevanten und bereichsübergreifenden Interessengruppen am Stadtplanungsprozess sicherzustellen. Jede Stimme und Sichtweise, die erfasst wird, trägt dazu bei, die Entwicklung und Umsetzung von Lösungen zur Bekämpfung von AMR zu optimieren.
WHO/Europa verpflichtet sich zu Maßnahmen gegen AMR
Die Zukunftsvision für die Europäische Region im Bereich AMR besteht darin, dass bis 2030 Menschen und Tiere in einer gesünderen Umgebung sicherer vor schwer behandelbaren resistenten Infektionen sind. Um dies zu erreichen, haben die 53 Mitgliedstaaten in der Europäischen Region den Fahrplan zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen (2023-2030) gebilligt, der die Länder der Region dabei unterstützt, hochwirksame Maßnahmen zur Eindämmung der Auswirkungen von AMR zu bestimmen, zu priorisieren und umzusetzen. WHO/Europa setzt sich für die Bewältigung der globalen gesundheitlichen Herausforderung durch AMR ein, u. a. durch Ansetzen an den umweltbedingten und sozialen Determinanten von Gesundheit, die in dem Fahrplan als Handlungsfeld genannt wurden. Die Verbesserung der Wohnbedingungen ist eine wichtige Maßnahme zum Schutz der öffentlichen Gesundheit, die sich aus diesem Anspruch ergibt.
Der AMR-Fahrplan verfolgt einen einheitlichen Gesundheitsansatz, indem er der gemeinsamen Verantwortung in den verschiedenen Bereichen - Mensch, Tiere, Pflanzen und Umwelt - auf Ebene der Länder Rechnung trägt. Er beruht auf Inklusivität, der Förderung breit angelegter Partnerschaften und Bündnisse und dem Streben nach einer wirksameren Einbeziehung unterschiedlicher Akteure und Sichtweisen.
Dank eines einheitlichen Gesundheitsansatzes können Städte auf eine nachhaltige Stadtentwicklung setzen und gesundheitliche Aspekte in die Stadtplanung integrieren und so für angemessene Wohn- und Lebensbedingungen mit mehr Lebensqualität sorgen. Der einheitliche Gesundheitsansatz wird durch das Gesunde-Städte-Netzwerk der Europäischen Region der WHO umgesetzt, das Städte in der gesamten Region mobilisiert und auf der kommunalen Ebene führende Verantwortliche einbindet, um dort eine starke Bewegung für die öffentliche Gesundheit aufzubauen. Bei der Vision der Gesunden Städte werden die Determinanten von Gesundheit und die Notwendigkeit einer fachübergreifenden Zusammenarbeit anerkannt, um gesündere Umgebungen und widerstandsfähigere Gemeinschaften zu schaffen und gleichzeitig komplexe gesundheitliche Risiken wie AMR zu reduzieren.
"Das Lernen von anderen Städten durch Wissens- und Erfahrungsaustausch erlaubt es uns, Ideen miteinander zu teilen, die wir an unsere sich verändernden Rahmenbedingungen anpassen und ausgestalten können. Meine Botschaft an die nächste Generation von Architekten und Stadtplanern, die mit der Realität von AMR und Klimawandel konfrontiert sein werden, lautet: herauszoomen und das Gesamtbild betrachten", sagt Dina.
Weltwoche für AMR-Bewusstsein
Die Weltwoche für AMR-Bewusstsein (WAAW) ist eine globale Kampagne zur Bewusstseinsbildung und zum Verständnis von AMR und zur Förderung bewährter Verfahren bei allen maßgeblichen Akteuren, einschließlich der Öffentlichkeit, mit dem Ziel, das Auftreten und die Ausbreitung arzneimittelresistenter Infektionen zu reduzieren. Die WAAW wird jedes Jahr vom 18. bis 24. November begangen. Das Motto der WAAW 2024 lautet "Aufklären. Aktiv werden. Jetzt handeln". Dabei wird die internationale Gemeinschaft dazu aufgerufen, die maßgeblichen Interessengruppen über AMR zu informieren, für weitreichende Zusagen zu werben und konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung von AMR zu ergreifen.
In der Europäischen Region der WHO sind AMR jährlich für 133 000 Todesfälle verantwortlich und kosten die Länder der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums nach Schätzungen 11,7 Mrd. € pro Jahr. Zur Verbesserung der Gesundheit und zur Rettung von Menschenleben bedarf es dringender Maßnahmen gegen AMR. AMR geht uns alle an. Die vielschichtigen Probleme des Themenkomplexes AMR müssen aus verschiedenen Blickwinkeln angegangen werden. In Anlehnung an die politische Erklärung, die von Staats- und Regierungschefs aus aller Welt auf der zweiten Tagung auf hoher Ebene zum Thema antimikrobielle Resistenz am Rande der 79. Tagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurde, erkennt das WHO-Regionalbüro für Europa die Notwendigkeit an, niemanden zurückzulassen. Dazu gehört auch die Unterstützung und Stärkung von Menschen, die in unangemessenen Wohnverhältnissen leben. Es kann und muss noch viel mehr getan werden, um auf die Bedeutung der Stadtplanung und der Verbesserung der Wohnbedingungen zum Zwecke der Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen aufmerksam zu machen.