12/09/2024 | Press release | Archived content
Der RWE-Chef warnt vor Gefahren durch Dunkelflauten. Der Bundesregierung wirft er eine falsche Strategie für die Energiewende vor - und erklärt, warum niemand Lust hat, zu investieren.
Herr Krebber, Sie haben neulich sehr eindringlich davor gewarnt, dass das deutsche Stromnetz an seine Grenzen gekommen ist. Ausgerechnet am 6. November, als die Welt erst auf die Ergebnisse der US-Wahlen und dann abends zum Ampel-Crash nach Berlin blickte.
In der Tat. Das hatte aber nichts mit Politik zu tun, sondern mit den Wetterbedingungen. Wir hatten eine Dunkelflaute, und in der Folge wurde es auf dem deutschen Strommarkt ziemlich knapp. Die Preise schossen in die Höhe, und das gesamte System kam an seine Grenzen.
Was genau ist denn am 6. November passiert?
Es war bewölkt und windstill, dadurch war die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien sehr gering. Wir waren also auf konventionelle Anlagen und auf Stromimporte aus anderen Ländern angewiesen. Die Knappheit hat zu den extrem hohen Strompreisen geführt.
Werden wir solche Tage künftig häufiger erleben?
Wie häufig das sein wird, kann ich Ihnen nicht sagen, aber wir können sie nicht ausschließen. Und das Energiesystem sollte nicht auf Kante genäht sein, weil Versorgungssicherheit ein hohes Gut ist.
Was sollte die Bundesregierung tun, damit das möglichst selten vorkommt?
Länder wie Polen, Belgien und Großbritannien haben sogenannte Kapazitätsmärkte aufgebaut, in denen Versorger vergütet werden, wenn sie Kraftwerke betreiben, die nur im Notfall einspringen können. So ein Instrument ist auch gar nicht teuer. Aber wir haben diesen Investitionsrahmen nicht, und deswegen investiert keiner in zusätzliche gesicherte Leistung. Wir warten seit Jahren auf einen entsprechenden Rahmen.
Deutschland will bis 2045 klimaneutral sein. Dazu bedarf es einer klaren Strategie der Bundesregierung, die zuletzt gefehlt hat. Was muss die nächste Bundesregierung als Erstes angehen?
Wir brauchen eine andere Strategie für die Dekarbonisierung, wir müssen die große Aufgabe ökonomisch viel rationaler angehen. Dort, wo CO2-Einsparung günstig ist, sollten wir beginnen. Die teuren Maßnahmen schauen wir anschließend an. Das Instrument dafür ist das Handelssystem für CO2-Emissionsrechte. Im Moment versuchen wir zu viel gleichzeitig und verzetteln uns.
Wenn wir den CO2-Preis als zentrales Instrument in den Mittelpunkt stellen, hat das natürlich massive soziale Auswirkungen. Heizen und Mobilität werden teurer. Das sind politisch heikle Themen.
Die sich lösen ließen. In Europa haben wir aktuell CO2-Preise von rund 75 Euro. Das bringt dem Bundeshaushalt knapp 20 Milliarden Euro Einnahmen pro Jahr. Wenn dieses Geld in Form eines Klimagelds eingesetzt wird, um die sozialen Folgen abzufedern oder auch energieintensive Industrien zu entlasten, dann kann das gelingen.
Sie haben das Kraftwerkssicherheitsgesetz schon angesprochen. Kernpunkte sollten neue Gaskraftwerke sein, die aber auch mit grünem Wasserstoff betrieben werden können. Sie haben schon mehrfach bemängelt, dass es an einem sinnigen Zielbild für diese Strategie fehlt.
Die Idee war, mit dem Kraftwerkssicherungsgesetz relativ schnell Gaskraftwerke zu bauen, die auf Wasserstoff umgestellt werden können. Das ist ein richtiger Schritt. Man sollte den aber auch so pragmatisch wie möglich ausgestalten, damit er möglichst günstig wird.
Was heißt das?
Zum Beispiel, dass die Kraftwerke sowohl Wasserstoff als auch Gas einsetzen dürfen. Der aktuelle Entwurf sieht vor, dass die Kraftwerke nach einer bestimmten Zeit nur noch mit Wasserstoff laufen dürfen. Wenn der nicht da ist oder zu teuer, dann stehen die Anlagen still. Das macht es unnötig teuer und ist schädlich für Versorgungssicherheit. Außerdem führt das zu höheren CO2-Emissionen, denn statt moderner Gaskraftwerke müssen wir wieder auf ältere Kohlekraftwerke zurückgreifen.
Sie haben damals schon gesagt, dass die ersten Gaskraftwerke spätestens 2025 gebaut werden müssten, um die Klimaziele und vor allem den Kohleausstieg in Nordrhein-Westfalen bis 2030 zu erreichen. Das wird jetzt nicht passieren. Wackelt der Ausstieg?
Wir treiben unsere Projekte weiter voran. Das heißt, wir schauen, an welchen Standorten gebaut werden kann, welche Genehmigungen wir brauchen, welche Vorverträge wir mit Zulieferern eingehen. Das heißt: Wir hoffen, dass wir die Verzögerung teilweise wieder aufholen können.
Sie wollen RWE bis 2030 auf erneuerbare Energien trimmen. Trotzdem kommen zwei Drittel des produzierten Stroms noch aus fossilen Quellen. Ist das in Anbetracht des langsamen Ausbaus der Erneuerbaren in Deutschland überhaupt noch zu schaffen?
Wir sind mit unserer Transformation auf einem guten Weg. Wir bauen aktuell neue Solar- und Windanlagen mit einer Kapazität von rund zwölf Gigawatt. Das ist so viel wie zwölf große Kohlekraftwerke. Diese Anlagen gehen in den nächsten Jahren ans Netz. Dadurch wird der Strommix immer sauberer. Wir setzen damit den Trend fort: Wir haben unsere CO2-Emissionen zwei Jahre in Folge um zweistellige Prozentsätze reduziert, Jahr auf Jahr.
Ihren Optimismus in allen Ehren, aber Sie wollten bis 2030 rund 55 Milliarden Euro in Erneuerbare investieren, davon elf Milliarden in Deutschland. Nun rudern Sie zurück und wollen den Betrag anpassen. Haben Sie sich verkalkuliert?
Wir haben das Investitionsprogramm an zwei Stellen leicht angepasst: Einmal in den USA, wo sich unsere Offshore-Projekte verzögern könnten, weil wir dort auf eine Reihe von Genehmigungen warten. Und in Europa, wo wir beim Ausbau der Wasserstoffwirtschaft langsamer vorankommen als gedacht. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir unser Investitionsprogramm bis 2030 in Summe wie geplant umsetzen können, davon rund elf Milliarden in Deutschland.
Das Thema Wasserstoff findet in der Industrie immer mehr Kritiker: Hat die Politik hier auf den falschen Weg gesetzt?
Die Debatte wundert mich nicht. Die Energiewende ist ein Marathon, und da gibt es mal einfachere und mal schwierigere Etappen. Wenn wir auf das langfristige Zielbild gucken, wird die Dekarbonisierung der Industrie, die nicht elektrifizieren kann, nicht ohne grüne Moleküle oder dekarbonisierte Moleküle gelingen. Das heißt, es braucht jetzt nach dem Hype auch die Investitionen - und die kommen eben nicht so schnell, wie viele gedacht hatten. Aber das ist bei neuen Technologien nicht unüblich.
Das heißt, der Weg in die Wasserstoffwirtschaft ist immer noch der richtige?
Ja. Aber bitte pragmatisch. Ohne Überregulierung von grünem Wasserstoff und mit der Öffnung auch für blauen, der aus Erdgas mit CO2-Abscheidung gewonnen wird.
Wir haben über den 6. November gesprochen. Das war auch der Tag, an dem Donald Trump die US-Wahl gewann. Trump will Subventionen für grüne Energie streichen und Offshore-Windprojekte stoppen. Ist die goldene Zeit in den USA vorbei?
Der US-Markt ist sehr attraktiv, weil die Stromnachfrage dort in den nächsten Jahren weiter deutlich steigen wird. Grund dafür ist vor allem der KI-Boom und der Bedarf an neuen Datencentern. Und wenn ich mit den Kunden spreche, wollen die langfristig nur grünen Strom.
Die Tech-Konzerne wollen die wachsende Stromnachfrage vor allem durch Atomenergie decken. Microsoft zum Beispiel reaktiviert mit einem Partner einen Teil des alten Ostküsten-Kraftwerks Three Mile Island. Wird daraus eine neue Massenbewegung?
Ich sehe vor allem große Nachfrage nach erneuerbarem Strom. Zur Kernenergie: Bei all diesen Projekten stellt sich die Frage, wer am Ende das wirtschaftliche Risiko für die Investitionen übernimmt. Das werden die Betreiber der Rechenzentren sicher nicht überall tun. Insofern bleibt abzuwarten, welche dieser Projekte wirklich kommen werden.
Auch in Deutschland steigt die Stromnachfrage. Und eine wachsende Zahl auch politischer Entscheidungsträger fragt sich: Brauchen wir eine Rückkehr zur Kernkraft? Was sagen Sie als Energiemanager dazu?
In dieser Debatte dürfen wir etwas Wesentliches nicht übersehen: Wir brauchen einen gesellschaftlichen Konsens.
Die Mehrheit der Deutschen wäre dafür.
Aber es ist eine knappe Mehrheit. So ein Projekt müsste von einer viel breiteren Mehrheit getragen werden. Das sehe ich in Deutschland nicht. Wir als Unternehmen stellen uns nicht gegen einen gesellschaftlichen Konsens.
Aber die Zustimmung nimmt gerade zu. Brauchen wir vor dem Hintergrund einer deutlich steigenden Stromnachfrage eine Debatte darüber, ob Kernkraftwerke einen Beitrag zur Basisversorgung leisten können?
Wenn man sich die Investitionszyklen von neuen Kernkraftwerken anschaut, ist man schnell bei 15 Jahren und mehr. Da ist der Neubau von wasserstofffähigen Gaskraftwerken, Speichern und vor allem der Ausbau der Erneuerbaren deutlich schneller.
Wir hätten noch drei kürzlich abgeschaltete Atomkraftwerke. Die Lieferanten von Brennstäben sagen, sie können innerhalb von sechs Monaten liefern. Wäre das eine Option?
Das ist eine politische Entscheidung. Wir brauchen dafür einen komplett neuen Genehmigungsprozess. Außerdem bräuchte es massive Investitionen, und wir reden da nicht über kleine Beträge, um die Anlagen auf den neuesten technischen Stand zu setzen. Und es fehlt schlicht das Personal.
Ist also die Botschaft: Wenn die Politik tief in die Tasche greift, sind Sie dabei?
Ich würde für uns ausschließen, dass wir das wirtschaftliche Risiko nehmen.
Die Botschaft ist angekommen.
Am Ende bräuchte es auch dafür Vergütungsmodelle, mit denen der Staat das wirtschaftliche Risiko übernimmt. Und wenn ich dann politisch draufschaue, muss ich mich fragen, ob dieser Aufwand für drei bis vier Gigawatt gerechtfertigt ist. Ich wüsste jedenfalls, zu welcher Entscheidung ich kommen würde.
Friedrich Merz, der sehr auf Atomkraft setzt, hält Windenergie für eine Übergangstechnologie. Windparks könnten eventuell sogar abgebaut werden. Was sagen Sie dazu?
Das ist für mich eine hypothetische Frage. Wenn Fusionstechnologie wirklich funktionieren sollte, dann brauchen wir vielleicht in 50 Jahren keine Windenergie mehr. Aber wir müssen ja das Energieproblem von heute lösen.
Was ist denn das Problem gerade in Deutschland? Sind es die Reformen, die nicht kommen? Ist es die Mentalität? Egal, wo wir hinschauen, gibt es eine ähnliche Diskussion.
Ich würde das nicht auf Deutschland beschränken. Wenn man sich die Instrumente in Europa anguckt, gibt es relativ wenig Vertrauen auf technologische Entwicklung und sehr viele ideologische Vorgaben. Und es gibt ein generelles Misstrauen gegenüber Unternehmen und der freien Marktwirtschaft.
Zum Beispiel?
Förderinstrumente in den USA sind relativ simpel aufgebaut. Wer eine Kilowattstunde Strom produziert oder ein Kilogramm Wasserstoff, der wird für die Produktion gefördert. Den Rest regelt der Markt. In Deutschland ist das anders. Wir machen erst einmal 200-seitige Anträge und detaillierte Business Cases, die dann 20 Jahre lang von Wirtschaftsprüfern geprüft werden, um festzulegen, ob Übergewinne abgeführt werden müssen. Da hat niemand mehr Lust zu investieren.
Die USA wollen hier sogar noch pragmatischer werden. Elon Musk soll Behörden nach Ineffizienzen durchkämmen und bürokratische Strukturen zerschlagen. Wäre das auch ein Ansatz für Deutschland?
Das kann ich nicht beurteilen. Aber wir sollten uns das in den kommenden Monaten in Ruhe anschauen. Und wenn es funktioniert, können wir es kopieren.
Was genau würde helfen?
Ich glaube, wir würden uns einen großen Gefallen tun in Deutschland und EU-weit, wenn wir mehr Markt zulassen würden. Investitionen in saubere Technologien sind keine Ideologie. Das muss am Ende ein wirtschaftlich tragfähiges Geschäftsmodell sein. Und das ist es auch. Man muss nur diese Detailsteuerung, Überregulierung und Überdeterminierung des Systems rausnehmen. Das macht es für uns teurer und langsamer, als es sein muss.
Was ist Ihre größte Sorge, wenn Sie auf den Zustand der Energiewende jetzt schauen?
Wenn sich ein falsches Narrativ festsetzen würde. In etwa nach dem Motto: Die Probleme, die wir haben, liegen daran, dass die Energiewende nicht funktioniert, und wir müssen sie nur halb zurückdrehen. Dann sind alle unsere Probleme gelöst. Das wäre grundfalsch. Egal, wo wir hingucken auf der Welt, ob nach China oder in die USA. Die Investitionen in saubere Technologien sind massiv. Das ist nicht aufhaltbar. Das ist das, was nachgefragt wird. Und es ist das, was wettbewerbsfähig ist. Die Energiewende ist der richtige Weg.
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