"Die Stigmatisierung, die sich aus einer bakteriellen Bedrohung ergibt, die oft ohne Symptome verläuft, ist schwer zu verstehen. Mangelhafte oder widersprüchliche Informationen können bei Menschen zu Unsicherheit führen, sei es, wenn sie mit dem Gesundheitssystem in Kontakt kommen, als auch in ihrem sozialen Leben", sagt Dr. Gudrun Lindh, eine pensionierte Spezialistin für Infektionskrankheiten, Doktorin und leitende Beraterin der Abteilung für Infektionskrankheiten am Karolinska-Universitätskrankenhaus und am Karolinska-Institut in Stockholm. Dr. Lindhs Leidenschaft für Epidemiologie führte dazu, dass sie sich in ihrer Arbeit mit antimikrobiellen Resistenzen (AMR) befasste, einschließlich der sozialen und psychischen Auswirkungen von Methicillin-resistentem Staphylococcus aureus (MRSA).
MRSA ist eine häufige Art von Staphylococcus-Bakterien, die gegen mehrere Antibiotika resistent sein können. Diese Bakterien verbreiten sich in der Bevölkerung durch Kontakt mit Menschen, die mit MRSA infiziert sind, sowie deren Wunden oder durch Kontakt mit kontaminierten Materialien. MRSA ist nach wie vor auf der Liste der vorrangigen bakteriellen Krankheitserreger der WHO zu finden. Jeder kann sich mit MRSA infizieren oder MRSA in sich tragen, ohne dass Anzeichen oder Symptome erkennbar sind. Das Risiko, sich mit MRSA zu infizieren, steigt für Menschen, die in Krankenhäusern oder Langzeitpflegeeinrichtungen medizinisch versorgt werden.
Seit dem Jahr 2000 ist eine MRSA-Infektion eine meldepflichtige Krankheit nach dem schwedischen Gesetz für übertragbare Krankheiten und wird als eine Krankheit eingestuft, die eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellt. Eine MRSA-Diagnose galt in Schweden früher als lebenslange Infektion, die mit einem Warnsymbol in der Patientenakte vermerkt wurde. Unzureichendes Wissen über MRSA bei Patienten, Gesundheitsfachkräften und in der Öffentlichkeit führte dazu, dass Stigmatisierung und Diskriminierung für viele zur alltäglichen Erfahrung wurden, auch für diejenigen, die nur Träger waren, ohne dass eine Infektionskrankheit auftrat. Auch zuvor gesunde Kinder, die als MRSA-Träger ohne erkennbare Risikofaktoren identifiziert wurden, wurden stigmatisiert.
Stigmatisierung in Zusammenhang mit MRSA
In der Region Stockholm initiierte der oberste Gesundheitsbeamte ein MRSA-Versorgungsprogramm, das zwischen 2000 und 2011 einen Anstieg der Fälle um das Fünffache (von 5 auf 24 Fälle pro 100 000 Personen) feststellte, was zu unvorhergesehenen Herausforderungen im Gesundheitssystem und in der Bevölkerung führte.
In den ersten Jahren der MRSA-Überwachung wurde ein weit verbreitetes Informationsdefizit bezüglich dieser Bakterien bei Gesundheitsfachkräften und Patienten sowie ein Mangel an angemessenen Hygienemaßnahmen und damit verbundene Folgen in Gesundheitseinrichtungen festgestellt. Der Umgang mit MRSA in ambulanten Abteilungen wurde anfangs als Aufgabe mit niedriger Priorität angesehen und war ungenügend verstanden. Auch in Schulen traten Probleme auf, wo Lehrer manchmal unnötigerweise über die MRSA-Diagnose eines Kindes informiert wurden bzw. Angst hatten, weil sie nicht verstanden, was es bedeutet, MRSA-Träger zu sein.
Die Übertragung in der Region Stockholm erfolgte anfangs hauptsächlich in Gesundheitseinrichtungen, verlagerte sich dann aber auf ambulant erworbene Infektionen, ähnlich der Muster, die in anderen Ländern beobachtet wurden. In Schulen wurde einigen Kindern mit funktionellen Beeinträchtigungen, die als MRSA-Träger diagnostiziert wurden, die Rückkehr in die Schule verweigert, und Eltern benötigten zusätzliche Unterstützung, um diese Herausforderung zu bewältigen. Diese negativen Erfahrungen und Verhaltensweisen zeigen, dass das Infektionsrisiko angemessen verstanden werden muss und weder ignoriert noch übertrieben werden darf. Ebenso wichtig ist es, Maßnahmen zur Infektionsprävention und -bekämpfung umzusetzen.
Selbststigmatisierung und emotionales Wohlbefinden
"Die Forschung hat uns gelehrt, dass das Verständnis und die Wahrnehmung der Menschen im Hinblick darauf, was es bedeutet, MRSA zu haben, sowohl mit ihrer Lebensqualität als auch mit ihrer Stigmatisierungserfahrung zusammenhängen", erklärt Dr. Lars E. Eriksson, Professor für Pflegewesen in der Abteilung für Neurobiologie, Pflegewissenschaften und Gesellschaft am Karolinska-Institut in Schweden und an der School of Health and Psychological Sciences der City St George's, University of London im Vereinigten Königreich.
"In Schweden stellten wir Parallelen zur Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen mit HIV in den ersten Jahren der HIV/Aids-Pandemie fest", fährt Dr. Eriksson fort. "Unsere Erkenntnisse und Erfahrungen mit anderen stigmatisierenden Erkrankungen zeigen, dass es einen Zusammenhang zwischen Selbststigmatisierung und emotionalem Wohlbefinden gibt, der die Bedeutung einer Verbesserung des Wissens und des Bewusstseins bei Mitarbeitern des Gesundheitswesens und Patienten untermauert, um Selbstvorwürfen und anderen negativen Einstellungen gegenüber dem Selbst vorzubeugen, die bei Menschen, die mit MRSA oder anderen AMR-Erregern leben, entstehen können."
"Einige Menschen, bei denen eine MRSA-Infektion diagnostiziert wurde, isolierten sich von ihren Familien", erinnert sich Dr. Lindh. "Viele hatten im Alltag mit Einschränkungen zu kämpfen - einige fühlten sich unrein und waren extrem darauf bedacht, sich an die Regeln zu halten. Zudem stellten sie die Notwendigkeit in Frage, das Pflegepersonal über ihren MRSA-Status zu informieren, und stellten manchmal fest, dass sie mehr über die Krankheit wussten als ihre Gesundheitsanbieter. Einige Gesundheitsfachkräfte hatten sogar Angst, diese Patienten zu berühren, und zogen es vor, außerhalb des Untersuchungsraums zu bleiben, was zu einer unzureichenden Versorgung führte, während Patienten, bei denen eine MRSA-Infektion diagnostiziert wurde, den von ihnen als unrein empfundenen "Peststempel" loswerden wollten."
Bemühungen zur "Entdiagnostizierung" von MRSA
Ein Programm, das mit Zuschüssen des Bezirksrats von Stockholm unterstützt wurde, wurde 2009 mit dem Ziel ins Leben gerufen, MRSA-Träger ohne Symptome zu "entdiagnostizieren" und das Wissen und das Bewusstsein bei Mitarbeitern des Gesundheitswesens und Patienten zu verbessern. Dies beinhaltete eine Nachverfolgung von Menschen, bei denen die Krankheit vor 2009 diagnostiziert worden war, und die prospektive Nachverfolgung neuer MRSA-Fälle von 2009 bis 2011. Ein Nicht-MRSA-Träger wurde als solcher definiert, wenn er mindestens 12 bis 18 Monate lang mindestens 3 aufeinanderfolgende negative Bakterienkulturproben aufwies und keine Risikofaktoren vorlagen. Die Ergebnisse des Programms trugen dazu bei, dass 30 % der Patienten in der retrospektiven Gruppe und 56 % in der prospektiven Gruppe aus dem Register gestrichen werden konnten. Bemerkenswerterweise erhielten nur 21 % der Patienten Antibiotika zur Behandlung von MRSA. Dies markierte den Beginn einer neuen Ära und war eine große Erleichterung für Patienten und Pflegekräfte.
In den Jahren 2010-2022 wurden über 4349 Menschen als Nicht-Träger diagnostiziert. Heutzutage sind für Menschen ohne Risikofaktoren für eine Nicht-Träger-Diagnose nur noch 2 negative Kulturproben im Abstand von mindestens 3 Monaten erforderlich. Die daraus gezogene Lehre ist, dass MRSA-Bakterien wieder verschwinden können. Ferner werden neue Fälle an ein spezielles MRSA-Team mit klaren Rollen, klaren Aufgaben und einem systematischen Prozess weitergeleitet. Das Gesundheitspersonal hat sein Wissen durch Schulungen, Beratungen und Aufklärungsseminare verbessert, was zu besser informierten und selbstbewussteren Gesundheitsfachkräften und zufriedeneren Patienten führte.
In der Bevölkerung können Kinder, bei denen eine MRSA-Infektion diagnostiziert wurde, weiterhin den Kindergarten und die Schule besuchen und an allen Aktivitäten teilnehmen, vorausgesetzt, dass Eltern und Kinder die Verhaltensregeln befolgen. Eltern müssen die Schule nicht benachrichtigen, wenn keine Risikofaktoren vorliegen. Die Überarbeitung und Verbesserung der MRSA-Vorsorge stehen im Einklang mit dem Mandat des 2008 ins Leben gerufenen schwedischen Strategieprogramms für den rationalen Einsatz antimikrobieller Mittel und die Überwachung von Resistenzen, das nach wie vor ein wichtiges und erfolgreiches nationales Arbeitsmodell für das Wissensmanagement zur Bekämpfung von AMR im Gesundheitswesen darstellt.
Aufklären. Fürsprecher sein. Jetzt handeln.
Dr. Lindh betont, dass Wissen oft ein "frisches Produkt" ist und ständig erneuert werden muss, da MRSA-Träger nach wie vor stigmatisiert werden, insbesondere von Menschen, die nicht gut informiert sind, manchmal aufgrund von Sprachbarrieren. Um eine weitere Stigmatisierung zu verhindern, setzt sich Dr. Lindh für die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für MRSA-Infektionen ein und betont, dass dies mit Informationen darüber einhergehen muss, dass eine MRSA-Infektion in der Regel heilbar ist und dass eine Übertragung durch einfache Maßnahmen wie Handhygiene verhindert werden kann.
Um die Auswirkungen einer Stigmatisierung in Zusammenhang mit AMR anzugehen, ist ein auf den Menschen ausgerichteter Ansatz erforderlich, der die zentrale Rolle von Menschen und Gemeinschaften bei der Bekämpfung von AMR und der Behebung von Schwachstellen und Lücken in den derzeitigen AMR-Bemühungen anerkennt. Der Fahrplan zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen in der Europäischen Region der WHO (2023-2030) erkennt an, dass AMR eine große Bedrohung für den gesamten Lebensverlauf der Menschen darstellen, einschließlich ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen. Sie haben das Potenzial, die Versorgungsqualität und die Patientensicherheit im gesamten Versorgungskontinuum zu beeinträchtigen. Eine Ausrichtung auf den Menschen bedeutet, die Menschen als Partner bei der Bekämpfung von AMR anzuerkennen und sie zu mehr Selbstbestimmung zu befähigen, und bringt eine grundlegende Veränderung in der Art und Weise mit sich, wie Gesundheitssysteme aufgebaut sind.
"Nosokomiale und ambulant erworbene Infektionen, die durch MRSA oder andere Infektionserreger verursacht werden, sollten so weit wie möglich auf null reduziert werden. Alle Fachkräfte im Gesundheits- und Sozialwesen müssen angemessene Maßnahmen zur Infektionsprävention und -bekämpfung anwenden, wenn Gesundheits- und Sozialfürsorge geleistet wird, unabhängig vom Leistungserbringer und der Art der Versorgung und unabhängig davon, ob bei dem Patienten bzw. dem Leistungsempfänger eine Infektion bekannt ist. Daher müssen alle Leistungserbringer sicherstellen, dass Personal und Gesundheitsfachkräfte die Standardvorkehrungen entsprechender Praktiken für die Infektionsprävention und -bekämpfung kennen und anwenden, während sie für alle Patienten zu jeder Zeit und in allen Umfeldern Versorgungsleistungen bereitstellen. Ärzte und Pflegekräfte spielen eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung angemessener Maßnahmen. Entsprechende Leitlinien sollten evidenzbasiert sein und regelmäßig überarbeitet werden", fordert Dr. Lindh eindringlich.
Infektionsprävention und -bekämpfung ist ein praktischer, evidenzbasierter Ansatz zur Verhinderung vermeidbarer Infektionen, einschließlich solcher, die durch resistente Erreger verursacht werden. WHO/Europa unterstützt die Mitgliedstaaten bei der Eindämmung von AMR durch die Stärkung von Maßnahmen für die Infektionsprävention und -bekämpfung, wie z. B. wirksame Handhygiene, Anwendung von standard- und übertragungsbasierten Vorsichtsmaßnahmen sowie Reinigung und Desinfektion der Umgebung in allen Einrichtungen der Gesundheitsversorgung. Eine Kernaufgabe bei der Steuerung nationaler Programme für die Infektionsprävention und -bekämpfung besteht darin, entsprechende Schulungen für das gesamte Gesundheitspersonal auf allen Versorgungsebenen anzubieten und so die erforderlichen Fähigkeiten und Kompetenzen aufzubauen, um Gesundheitsfachkräfte bei ihren gemeinsamen Bemühungen zu unterstützen, die Ausbreitung von AMR-Erregern einzudämmen und das Stigma zu bekämpfen, das damit verbunden ist, Träger dieser Erreger zu sein.
Weltwoche für AMR-Bewusstsein
Die Weltwoche für AMR-Bewusstsein (WAAW) ist eine globale Kampagne zur Bewusstseinsförderung und zur Verbesserung des Verständnisses von AMR sowie zur Förderung vorbildlicher Praktiken bei allen maßgeblichen Akteuren, einschließlich der Öffentlichkeit, um das Auftreten und die Ausbreitung arzneimittelresistenter Infektionen zu verringern. Die WAAW wird jedes Jahr vom 18. bis 24. November begangen. Das Thema der diesjährigen WAAW lautet "Educate. Advocate. Act now." [Aufklären. Fürsprecher sein. Jetzt handeln.] und fordert die globale Gemeinschaft dazu auf, maßgebliche Akteure über AMR aufzuklären, sich für mutige Verpflichtungen einzusetzen und konkrete Maßnahmen als Reaktion auf AMR zu ergreifen. WHO/Europa arbeitet mit den Ländern zusammen, um das Bewusstsein und das Verständnis für AMR zu verbessern und die notwendigen Verhaltensänderungen durch Kampagnen, Aufklärung und Schulungen auf allen Ebenen und unter Einbeziehung der gesamten Gesellschaft zu erreichen.
AMR sind jedes Jahr für 133 000 Todesfälle in der Europäischen Region der WHO verantwortlich und kosten die Länder der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums jährlich schätzungsweise 11,7 Mrd. €. Es bedarf dringender Maßnahmen zur Bekämpfung von AMR, um die Gesundheit zu verbessern und Menschenleben zu retten. Wie wir am Beispiel Schwedens gesehen haben, kann und muss noch viel mehr getan werden, um auf die schädlichen Auswirkungen von Stigmatisierung auf Gesundheitssysteme, Gemeinschaften und die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen aufmerksam zu machen.