Donner & Reuschel AG

06/26/2024 | Press release | Distributed by Public on 06/26/2024 02:01

Ein französischer Sommer

Die europäische Staatschuldenkrise mit dem Höhepunkt der Restrukturierung griechischer Schulden brachte die europäische Währungsunion an den Rand des Zusammenbruchs. Erst eine rhetorische Meisterleistung des damaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi im Sommer 2012 ("…the ECB is ready to do whatever it takes to preserve the euro. And believe me, it will be enough.") brachte die Situation unter Kontrolle und bescherte darauffolgend ein Jahrzehnt der ultralockeren Geldpolitik. In Expertenkreisen nahm die Diskussion über eine Reform der Eurozone Fahrt auf. Ideen wie ein Europa der zwei Geschwindigkeiten oder die Aufteilung des Euros in eine "harte" und "weiche" Gattung entstanden. Eine damals verbreitete Sicht war, dass Frankreich und Italien am ehesten den Schritt aus der Eurozone wagen könnten - jeweils mit verschiedenartigen Motivationen.

Europawahl und Risikoaufschläge

Beide Länder sind nach den Europawahlen wieder in den Fokus der Finanzmärkte gerückt. Insbesondere der französische Präsident hat mit seiner Ankündigung von Neuwahlen für Irritationen gesorgt. Die Risikoaufschläge französischer Staatsanleihen gegenüber Bundesanleihen steigen stark an, und französische Aktien bilden seitdem das Schlusslicht in Europa. Muss man nun eine neue Staatschuldenkrise mit höheren Risikoaufschlägen in der Breite rechnen? Wohl eher nicht, lautet die Antwort. Vielmehr impliziert das Ende der Nullzinspolitik nun die Notwendigkeit einer differenzierteren Betrachtung von Emittentenrisiken wie die von Frankreich.

Selbstverständnis und Realität der Grande Nation

Frankreich ist als Gründungsmitglied der Montanunion eines der Kernländer der EU. Interessanterweise gelang es Frankreich in den letzten 20 Jahren kaum ein Leistungsbilanzüberschuss zu erzielen - anders als den Industrienationen Deutschland und Italien. Die Vorteile des Binnenmarkts wurden somit nicht genutzt für die Wettbewerbsfähigkeit, sondern eher "verfrühstückt". Das Haushaltsdefizit betrug in 2023 -5,5 % und wird sich 2024 sehr wahrscheinlich verschlechtern. Und das bei einer Schuldenquote von über 110% des BIP.

Im Verbund mit den angekündigten Neuwahlen sind das gute Gründe für eine Neubewertung des französischen Kapitalmarktes. Dies gilt vor allem für die Staatsanleihen.

Mögliche Ansteckungsgefahr

Sowohl ein Erfolg für den rechten Block als auch für das neugeschaffene linke Bündnis bei den Parlamentswahlen birgt Risiken für Staatsanleihen in der Eurozone. Beide Blocks präferieren eine expansivere Fiskalpolitik, so dass eine mögliche Fiskalkrise wie in Großbritannien unter Liz Truss nicht auszuschließen ist. Es droht eine mögliche Ansteckungsgefahr über Frankreich hinaus. Viele Länder der Eurozone sind stärker verschuldet als das in der Eurokrise der Fall war. Es stellt sich daher die Frage nach einem Wiederaufflammen der alten Problematiken. Ein Abverkauf von Staatsanleihen der hochverschuldeten Länder wäre denkbar. Die Parlamentswahl in Frankreich könnte somit ein Trigger für eine weitere Krise der Eurozone darstellen.

Zinssenkungspfad der EZB

Falls es tatsächlich zu einer fiskalischen Krise käme, erwarten wir, dass die EZB durch den Kauf von (französischen) Staatsanleihen intervenieren würde, z.B. über das TPI-Programm. Aber auch wenn es nicht zu einer Krise wie in Großbritannien kommt, erwarten wir, dass die Möglichkeit einer Ansteckungsgefahr die EZB stärker in Richtung eines Zinssenkungspfades bewegen wird. Sinkende Zinsen machen Defizite leichter finanzierbar, was eine fiskalische Krise unwahrscheinlicher macht. Daher sehen wir die Möglichkeit einer Beschleunigung der Zinssenkungen durch die EZB in der zweiten Jahreshälfte. Dies wäre neben der sinkenden Inflation ein weiterer Grund für fallende Zinsen.