Heidelberg University

10/28/2024 | News release | Distributed by Public on 10/28/2024 09:33

Digitale Selbsthilfeprogramme unterstützen die Behandlung von Essstörungen

Essstörungen sind psychische Störungen, bei denen die Betroffenen unter einem pathologischen Essverhalten und einem negativen Körperbild sowie den damit verbundenen emotionalen und körperlichen Folgen leiden. Zu den am häufigsten diagnostizierten Erkrankungen in diesem Bereich zählen die Binge-Eating-Störung und Bulimia nervosa. Die Patienten erleben wiederholte unkontrollierbare Essanfälle, die im Fall von Bulimia nervosa häufig durch kompensatorisches Verhalten wie Erbrechen oder exzessives Sporttreiben begleitet werden. Essstörungen verlaufen oft chronisch und beeinträchtigen sowohl die körperliche Gesundheit als auch das soziale und berufliche Leben der Betroffenen. Frühzeitige und wirksame Interventionen könnten hier Abhilfe schaffen, doch nur selten erhalten Erkrankte nach Angaben der Heidelberger Wissenschaftler eine evidenzbasierte Psychotherapie. Hindernisse wie lange Wartezeiten, begrenzte Therapieangebote und die Angst vor Stigmatisierung verschärfen diese Problematik.

Im Team von Prof. Dr. Sven Barnow haben Luise Pruessner, Steffen Hartmann und Christina Timm in zwei Studien untersucht, welche Wirksamkeit kognitiv-verhaltenstherapeutische Online-Interventionen zur Behandlung der Binge-Eating-Störung und Bulimia nervosa entfalten. Digitale Therapieangebote bieten nicht nur Flexibilität, Kosteneffizienz und ortsunabhängige Behandlungsmöglichkeiten, sondern erlauben auch eine eigenständige Nutzung ohne therapeutische Begleitung. An den randomisierten klinischen Studien nahmen jeweils 154 Betroffene im Alter von 18 bis 65 Jahren teil. Nach dem Zufallsprinzip wurden sie einer "Interventionsgruppe", die das jeweilige digitale Selbsthilfeprogramm nutzen konnte, und einer Kontrollgruppe ohne Zugriff auf dieses Programm zugeordnet. Die beiden Studien wurden in der Arbeitseinheit Klinische Psychologie und Psychotherapie am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg durchgeführt.

Die Ergebnisse zeigen, dass Betroffenen, die Zugriff zu einem zwölfwöchigen digitalen Selbsthilfeprogramm erhalten hatten, im Vergleich zur Kontrollgruppe eine deutliche Reduktion der Essstörungssymptome erfuhren. Nach Angaben der Heidelberger Wissenschaftler zeigten sich auch Verbesserungen beim Selbstwertgefühl sowie im Umgang mit Gefühlen und krankheitsbedingten Schwierigkeiten im Alltag. Während sich bei der Binge-Eating-Störung zusätzlich das allgemeine Wohlbefinden sowie Symptome von Depression und Ängstlichkeit verbesserten, ließen sich bei Bulimia nervosa keine vergleichbaren Fortschritte feststellen. Daher bedarf es weiterer Forschung, um die Wirksamkeit digitaler Selbsthilfeprogramme weiter zu steigern. "Die Forschungsergebnisse unserer Arbeitseinheit zeigen, wie wichtig es ist, die eigenen Emotionen bewusst und situationsgerecht zu steuern, um psychische Probleme besser bewältigen zu können. Trainings der Emotionsregulation, digital oder analog, sollten sich auf diesen Aspekt konzentrieren", betont Prof. Barnow, Leiter der Arbeitseinheit Klinische Psychologie und Psychotherapie.

Langfristig könnten digitale Therapieprogramme nach Ansicht der Heidelberger Wissenschaftler eine entscheidende Rolle spielen, um Versorgungslücken bei der Behandlung von Essstörungen zu schließen. Als Ergänzung zur konventionellen Psychotherapie sollen sie die langen Wartezeiten auf traditionelle Behandlungsformen verkürzen. Besonders wertvoll sind sie für Personen, deren geografische oder persönliche Umstände den Zugang zu herkömmlichen Therapien einschränken. Ihre nahtlose Eingliederung in das Gesundheitssystem würde eine zeitnahe Unterstützung ermöglichen und könnte das Wohlbefinden und die Gesundheit der Betroffenen verbessern.

Basis der Studien waren zwei von einem spezialisierten Unternehmen entwickelte digitale Selbsthilfeprogramme, die von den Gesetzlichen Krankenkassen anerkannt sind. Die Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie hat als unabhängige Instanz die Wirksamkeit dieser Angebote überprüft. Die Ergebnisse der beiden Studien sind in zwei Beiträgen in der Fachzeitschrift JAMA Network Open erschienen.