Österreichisches Parlament

08/14/2024 | Press release | Distributed by Public on 08/14/2024 01:18

#MehralseinKreuzerl: Österreich als Vorreiter für Wählen mit 16 Abgeordnete lieferten sich 2007 'positiven Vaterschaftsstreit' um die Idee

Wien (PK) - Was in Österreich erlaubt ist, darf man weltweit nur in wenigen Ländern: mit 16 Jahren zur Wahl gehen. Welche Argumente für und gegen ein niedriges Wahlalter ausgetauscht werden und wie sich die Parteien im österreichischen Nationalrat bei der Reform 2007 darum matchten, wer die Idee zur Absenkung hatte, hat sich die Parlamentskorrespondenz angesehen. Ein Blick über die Grenzen zeigt außerdem die aktuelle Debatte im Nachbarland Deutschland sowie die Situation im US-Kongress, wo nicht über "zu jung", sondern über "zu alt" diskutiert wird.

Wählen mit 16 nur in wenigen Ländern

Seit 2007 darf man in Österreich mit 16 Jahren wählen. Die Wahlrechtsreform regelte das Wahlalter für bundesweite Wahlen neu. Länder und Gemeinden mussten aufgrund des Homogenitätsprinzips in der Verfassung nachziehen. Österreichische Staatsbürger:innen dürfen seither also bei Gemeinderats-, Landtags- und Nationalratswahlen sowie bei der Wahl des Staatsoberhaupts und zum Europäischen Parlament mit 16 Jahren wählen.

Im internationalen Vergleich gehört Österreich zu den wenigen Ländern, in denen man bereits mit 16 Jahren zur Wahl gehen darf. In Europa ist Wählen mit 16 auf nationaler Ebene sonst nur in Malta erlaubt. Die überwiegende Zahl der Länder weltweit gewährt das aktive Wahlrecht ab 18 Jahren. Doch Debatten über die Absenkung des Wahlalters gibt es laufend. Zuletzt wurde für die Europawahl das Wahlalter etwa in Belgien und Deutschland abgesenkt. Auch auf nationaler Ebene steht das in unserem Nachbarland schon länger zur Diskussion. Die aktuelle Ampel-Regierung hat in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, Wählen ab 16 ermöglichen zu wollen. Noch scheint aber die dafür notwendige Änderung des Grundgesetzes, für die es eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat braucht, politisch nicht erreichbar.

Wahlrechtsreform 2007: "Positiver Vaterschaftsstreit" über Absenkung des Wahlalters

Da war man sich in Österreich schon einiger. Von einem "positiven Vaterschaftsstreit" um die Idee zur Senkung des Wahlalters berichtete die Parlamentskorrespondenz am 5. Juni 2007, als die Wahlrechtsreform im Nationalrat zur Debatte und Abstimmung stand. Demnach wurde das Wählen mit 16 nicht nur von allen damals im Nationalrat vertretenen Parteien (SPÖ, ÖVP, Grüne, FPÖ und BZÖ) befürwortet, gleich mehrere Fraktionen wollten die Idee dazu gehabt haben.

Die Grünen-Abgeordnete Eva Glawischnig-Piesczek etwa erinnerte an zahlreiche Anträge ihrer Partei und nannte die Absenkung "längst überfällig". Bereits 1992 hätten die Grünen das Wählen mit 16 gefordert, sagte ihre Kollegin Barbara Zwerschitz. SPÖ-Abgeordnete Laura Rudas hingegen meinte, schon in den 1980er-Jahren habe der damalige Vorsitzende der Sozialistischen Jugend Alfred Gusenbauer dieselbe Forderung gestellt. Von der ÖVP legte Abgeordneter Thomas Einwallner dar, dass die Junge ÖVP Steiermark sich ebenfalls bereits 1992 für eine Senkung des Wahlalters ausgesprochen habe. Und vom BZÖ betonte Gernot Darmann, dass das Bundesland Kärnten Wählen mit 16 als eines der ersten Bundesländer auf regionaler Ebene eingeführt habe. Die FPÖ stimmte insgesamt gegen die von der damaligen Regierung vorgelegte Wahlrechtsreform, befürwortete die Senkung des Wahlalters aber ebenfalls. Abgeordnete fast aller Fraktionen forderten damals verstärkte Angebote zur politischen Bildung von Jugendlichen als begleitende Maßnahme.

Parlament reagiert mit neuem Angebot zur Demokratiebildung

Im Parlament eröffnete im Oktober 2007 die Demokratiewerkstatt. Sie bietet Workshops für junge Menschen zwischen acht und 19 Jahren, die interaktiv die Themen Demokratie, Parlamentarismus und Verfassung vermitteln. Derzeit gibt es sieben verschiedene Workshops, ergänzt wird das Angebot durch Online-Werkstätten sowie das Informationsportal DemokratieWEBstatt.

Ins Leben gerufen hat das Projekt die damalige Nationalratspräsidentin Barbara Prammer im Frühjahr 2007. "Gerade im Hinblick auf die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 ist es notwendig, jungen Menschen Instrumentarien in die Hand zu geben", wurde Prammer von der Parlamentskorrespondenz im Vorfeld der Eröffnung zitiert. Sie hatte daher der Parlamentsdirektion den Auftrag erteilt, die Demokratiewerkstatt - in mehreren Arbeitsgruppen gemeinsam mit Expert:innen - zu entwickeln. Ursprünglich im Palais Epstein beheimatet, erhielt die Demokratiewerkstatt nach der Sanierung eigene Räumlichkeiten im historischen Parlamentsgebäude. Seither können Kinder und Jugendliche im Plenarium über dem Nationalratssaal am Originalschauplatz lernen, wie Demokratie funktioniert.

Wahlaltersenkung - Pro und Kontra

Was spricht nun für und was gegen Wählen mit 16? Junge Menschen sind mit 16 Jahren bereits strafmündig und erweitert geschäftsfähig, wird die Wahlaltersenkung etwa auf der Website des Bundeskanzleramts begründet. Jungen Menschen wird also in diesem Alter bereits zugetraut, eine Reihe an Entscheidungen zu treffen - auch die Wahlentscheidung. In Deutschland, wo über Wählen ab 16 nicht zuletzt vor der Absenkung des Wahlalters bei der Europawahl diskutiert wurde, äußerten Expert:innen ebenfalls, dass es entwicklungspsychologisch keine Argumente gebe, die den Jugendlichen die nötige Reife absprechen würden. Zuletzt hat im Bundestag eine eigens eingerichtete Kommission zur Reform des Wahlrechts die Empfehlung ausgesprochen, das aktive Wahlalter auf 16 herabzusetzen. Die Wahlforschung zeige, dass es Jugendliche demotiviert, wenn sie von Wahlen ausgeschlossen werden. Es komme zu einer geringeren Wahlbeteiligung bei der anschließenden Wahl. Je früher man junge Menschen an Politik und Wahlen heranführt, desto mehr interessieren und beteiligen sie sich später, lautet das Argument.

Befürworter:innen von Wählen ab 16 bringen auch vor, dass dadurch weniger Menschen von Wahlen ausgeschlossen werden. Die Zahl der Wahlberechtigten - und damit jene Teile der Bevölkerung, die mitentscheiden dürfen - ist somit höher. Das ist auch mit Blick auf die demografische Entwicklung relevant. Denn die österreichische Bevölkerung wird immer älter. Dass Österreich dennoch wächst, liegt an der Zuwanderung. Die Zahl der Wahlberechtigten nimmt ab. Von den aktuell rund 9,2 Millionen Menschen, die in Österreich leben, sind bei der Nationalratswahl 2024 laut vorläufigen Zahlen rund 6,3 Millionen wahlberechtigt.

Junge Menschen sind außerdem von den Entscheidungen, die heute getroffen werden, am längsten betroffen. Oft angeführtes Beispiel: der Brexit. Drei Viertel der jungen Britinnen und Briten unter 24 Jahren wollten damals bei der EU bleiben. Dass das Votum für den Austritt ausging, lag an der Entscheidung der älteren Personen. Sie hätten über die Zukunft der Jungen bestimmt, lautete die Analyse. Auch im Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags, wo das Thema Wahlalter im April dieses Jahres zur Debatte stand, wurde für eine Absenkung argumentiert. Gerade junge Generationen seien in der Zukunft durch aktuelle Entscheidungen in den Feldern des Klimaschutzes, der sozialen Sicherungssysteme, der öffentlichen Investitionen und der Regulierung des Internets in besonderer Weise betroffen.

Argumente gegen Wählen mit 16

Neben der Sorge, dass eine Absenkung des Wahlalters auch dazu führen könnte, die Grenze zur Volljährigkeit zu senken, äußern Kritiker:innen insbesondere, dass Jugendliche mit 16 Jahren noch nicht die nötige persönliche Reife für eine verantwortliche Wahlentscheidung hätten. Ihnen fehle es an Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit sowie an der notwendigen Lebenserfahrung, führten Rechtswissenschafter in einer entsprechenden Debatte im Deutschen Bundestag an.

Auch das Argument, dass 16-Jährige noch nicht über ausreichend politische Bildung verfügten, wird immer wieder vorgebracht. Widerlegt wird das in der letzten Studie über Erstwähler:innen, die nach der Nationalratswahl 2017 - zehn Jahre nach der Senkung des Wahlrechts - im Auftrag des österreichischen Parlaments von der Universität Wien durchgeführt wurde. 16- bis 17-Jährige waren bei der Befragung sogar besser politisch informiert als die älteren Erstwähler:innen mit 18 bis 20 Jahren. Und auch die Wahlbeteiligung war bei den jüngeren Erstwähler:innen höher: Wie bereits bei der Nationalratswahl davor gingen auch 2017 die 18- bis 20-Jährigen deutlich seltener zur Wahl als die 16- bis 17-Jährigen.

Als wichtige Faktoren für die politische Sozialisation von jungen Menschen machte die Studie die Familie und die Schule aus. "Die 16- bis 17-Jährigen Erstwähler:innen sind gut vorbereitet und verfügen größtenteils über die notwendigen politischen Ressourcen, um an Wahlen teilnehmen zu können", zogen die Autor:innen positiv Bilanz über die Absenkung des Wahlalters.

Junge Abgeordnete sind die Ausnahme

Ebenfalls 2007 herabgesetzt wurde übrigens das passive Wahlalter. Seit der Wahlrechtsreform kann man bereits mit 18 Jahren - und damit ein Jahr früher als zuvor - in den Nationalrat einziehen. Sehr junge Abgeordnete sind aber dennoch die Ausnahme. Aktuell ist ein Mitglied des Nationalrats unter 30. Nach der Wahl 2019 waren es 13 und damit 7 % der Abgeordneten. Das Durchschnittsalter im Nationalrat wie im Bundesrat liegt derzeit (Stand 22. Juli 2024) bei knapp 52 Jahren. Der älteste Nationalratsabgeordnete ist 71 Jahre alt, die älteste Bundesrätin 74.

Weltweit werden Parlamentarier:innen zwar insgesamt jünger, die Anzahl junger Mitglieder in Parlamenten steigt aber nur minimal. Die letzte Erhebung der Interparlamentarischen Union (IPU) über die Beteiligung von jungen Menschen in Parlamenten aus dem Jahr 2023 zeigte, dass 2,8 % aller Parlamentarier:innen weltweit unter 30 waren. In der Erhebung zwei Jahre zuvor waren es 2,6 %. Zum Vergleich: Die Hälfte der Weltbevölkerung war 2023 unter 30, 18 % davon zwischen 20 und 29 Jahren alt. Ein Unterschied zeigt sich laut der Erhebung auch zwischen den parlamentarischen Kammern. Etwa ein Viertel aller mit dem Nationalrat vergleichbaren ersten Kammern bzw. Einkammernparlamente haben keine Abgeordneten unter 30. Bei den zweiten Kammern (vergleichbar mit dem österreichischen Bundesrat) sind es mehr als 73 %. Die IPU gibt zu bedenken, dass das passive Wahlalter insbesondere für die zweiten Kammern in einigen Ländern sehr hoch ist.

Der US-Kongress als "graue Kammer"

So auch in den USA: Um ins Repräsentantenhaus, die erste Kammer, einzuziehen, muss man mindestens 25 Jahre alt sein. Für die zweite Kammer, den Senat, liegt das Mindestalter bei 30 Jahren. Das bildet sich auch in der Praxis ab: Nach der letzten Wahl lag das Durchschnittsalter Anfang 2023 im Repräsentantenhaus bei 58, im Senat bei 64 Jahren. Das älteste Mitglied des Kongresses ist der republikanische Senator Charles Grassley aus Iowa. Er wird heuer 91. Die IPU bezeichnet den US-Kongress vor diesem Hintergrund als "one of the greyest chambers in the world".

Nicht nur beim Amt des oder der US-Präsident:in, sondern auch bei Mitgliedern des Kongresses gibt es also eine Altersdebatte in den Vereinigten Staaten. Überwiegend werden in der Debatte gesundheitliche Bedenken geäußert. Sind Menschen mit 90 Jahren fit genug für das Amt als Parlamentarier:in? Aber es gibt ein weiteres Argument, das - ähnlich wie bei der Frage ums aktive Wahlalter - auch hier angeführt wird: die Zukunft. Dass wenig junge Menschen in Parlamenten vertreten sind, bezeichnet die IPU nicht nur als "ungerecht". Es habe auch wichtige Auswirkungen auf die Gesetze, die gemacht werden. Junge Generationen müssen am längsten mit den Konsequenzen der Entscheidungen von heute leben. "Wenn junge Stimmen nicht gehört werden, spiegeln die Gesetze wahrscheinlich ihre Prioritäten und Perspektiven nicht wider", heißt es im Bericht zur IPU-Erhebung über junge Menschen. Themen wie Bildung, Arbeitslosigkeit und Klimawandel würden damit wahrscheinlich nicht die notwendige Aufmerksamkeit erhalten. (Schluss) kar

HINWEIS: Mehr Informationen zum Wahljahr 2024 finden Sie unter www.parlament.gv.at/mehralseinkreuzerl. Das Stenographische Protokoll vom Beschluss der Wahlrechtsreform in der Nationalratssitzung vom 5. Juni 2007 finden Sie im Webportal des Parlaments. Einen aktuellen Podcast zum Thema politische Bildung finden Sie in der Mediathek des Parlaments.