Bundesland Saarland

10/28/2024 | Press release | Distributed by Public on 10/28/2024 07:06

Lagebild Verfassungsschutz 2023 Aktuelle Krisen Themen bestimmen Entwicklungen

Medieninfo vom:PressRelease vom 28.10.2024 | Ministerium für Inneres, Bauen und Sport| Verfassungsschutz

Lagebild Verfassungsschutz 2023 - Aktuelle Krisen-Themen bestimmen Entwicklungen

Innenminister Jost hat das Lagebild Verfassungsschutz 2023 vorgestellt und auf mögliche Auswirkungen aktueller Entwicklungen auf die Innere Sicherheit im Saarland hingewiesen.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland feierte am 23. Mai 2024 seinen 75. Jahrestag. Unsere Demokratie und unsere Werte, die das Grundgesetz verbürgt, werden jedoch von unterschiedlichen Seiten bedroht. Die verschiedenen Gefahren, mit denen wir konfrontiert werden, sind dabei vielfältig und komplex. Aber es sind nicht nur die bekannten Bedrohungen durch Rechts-, Links- und Auslandsbezogenen Extremismus. Gerade der Islamistische Terrorismus ist durch das schreckliche, sinnlose und verabscheuungswürdige Messerattentat mit drei Toten und mehreren Verletzen am 23. August 2024 in Solingen wieder deutlich in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt und hat die Innere Sicherheit zum politischen Schwerpunktthema in Bund und Ländern gemacht.

Im Jahr 2023 konnte allerdings auch ein weiteres Phänomen festgestellt werden, das der aufmerksamen Beobachtung bedurfte: Fremde Staaten und innere Feinde unserer Verfassung versuchten im Rahmen von Desinformationskampagnen, durch die gezielte Verbreitung von verzerrten, teilweise oder gänzlich falschen Informationen Menschen zu beeinflussen oder zu täuschen. Durch diese bewusste Desinformation können Spaltungslinien in einer pluralistischen Gesellschaft vertieft, das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen untergraben und die Menschen verunsichert werden. In der Konsequenz kann dadurch das demokratische Gemeinwesen insgesamt destabilisiert werden.

Neben den Bedrohungen unserer Demokratie durch Extremismus haben Spionage, Sabotage und Cyberangriffe stark zugenommen Hiervon können Privatpersonen, Behörden, Parteien oder Organisationen sowie Einrichtungen betroffen sein.

"Die Verbreitung von Unwahrheiten ist mit geringem Aufwand und in kurzer Zeit möglich. Durch das Wiederholen einer Aussage auf unterschiedlichen Kanälen wird deren Wahrheitsgehalt suggeriert. Eine einfache und prägnante Sprache macht die Aussage leicht konsumierbar", erklärt Ulrich Pohl, Leiter der Abteilung Verfassungsschutz des MIBS. Es werden zielgerichtet alle Möglichkeiten genutzt, Einfluss zum Vorteil der eigenen Interessen zu nehmen.

Gleichzeitig wirkt sich der Nahost-Konflikt auch auf die Sicherheitslage im Saarland aus. Dabei werden insbesondere die Sozialen Medien durch eine Vielzahl echter und gefälschter Bilder geradezu "geflutet". Insofern entfaltet hier die Macht der Bilder ihre unheilvolle Wirkung. Menschen werden emotionalisiert und schlimmstenfalls radikalisiert.

Dabei ist die Gefahr von islamistischen Anschlägen weiterhin hoch. Gerade Einzeltäter, die sich selbst in Sozialen Medien radikalisiert haben, können mit einfachsten Tatmitteln Angriffe begehen. Diese im Vorfeld zu erkennen, stellt die Sicherheitsbehörden vor große Herausforderungen. Der islamistische Terrorismus stellt damit die größte Gefahr für die Sicherheit im Land dar.

"Die seit Jahren hohe Gefährdungslage hat die Beobachtung des Islamismus/Islamistischen Terrorismus zu einem der Schwerpunkte der Arbeit des saarländischen Verfassungsschutzes gemacht. Die Bedeutung des Verfassungsschutzes mit seiner Aufgabe als Frühwarnsystem ist gegenwärtig größer denn je. Vor diesem Hintergrund habe ich Anfang Oktober einen 5-Punkte-Plan für mehr Sicherheit im Saarland auf den Weg gebracht. Dieser sieht eine personelle Verstärkung des Verfassungsschutzes mit 10 Stellen für Spezialisten unter anderem aus dem Bereich der IT und durch einen Islamwissenschaftler vor. Ziel ist es, die Handlungsfähigkeit des Verfassungsschutzes konsequent zu stärken und durch die zusätzlichen Stellen den wachsenden Herausforderungen effektiver begegnen zu können.", so Minister Reinhold Jost.

Die Ergebnisse des "Lagebilds Verfassungsschutz 2023" im Detail:

Der Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung. Im Phänomenbereich Rechtsextremismus nutzten Szene-Angehörige Krisen und Proteste aus, um ihre menschen- und demokratieverachtende Ideologie zu verbreiten. Themen, wie der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und der signifikante Anstieg der Energie- und Lebenshaltungskosten sowie die Inflation in Deutschland wurden aufgegriffen, um den Staat, seine Institutionen und seine Repräsentanten zu diffamieren. Dabei gilt das Internet als ein immer wichtiger werdendes Medium für Rechtsextremisten. Zum Jahresende 2023 versuchten Angehörige der rechtsextremistischen Szene, auch die sog. "Bauernproteste" für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Dies gelang im Saarland jedoch nicht. Das klassische Thema Asyl und Migration wurde nach wie vor verfolgt.

Das Internet, vor allem die Sozialen Medien, bildeten zur Verbreitung von Ideologie, Verschwörungserzählungen, politischer Hetze und Hasspostings einen idealen Nährboden und Multiplikator.

Die rechtsextremistische Szene befindet sich weiterhin im Wandel hin zu vermehrt losen Netzwerken, schnelllebigen Ad-hoc-Kleingruppen und nicht vernetzten Einzelpersonen.

Die Zahl der erkannten und vermuteten Rechtsextremisten im Saarland erhöhte sich von etwa 310 im vorangegangenen Jahr auf rund 340 Personen zu Jahresende 2023, wovon unter 10 Prozent als gewaltorientiert eingestuft werden.

Die Zahl der Reichsbürger erhöhte sich deutlich von 180 auf rund 220, ca. 10 Prozent davon werden als gewaltorientiert eingestuft. Der bereits im Jahr 2022 festgestellte Anstieg an Aktivitäten (v. a. Widersprüche gegen behördliche Entscheidungen/Maßnahmen und Schreiben an Behörden, in denen das Existenzrecht der Bundesrepublik Deutschland und die Legitimation der Behörden und ihrer Mitarbeitenden negiert werden) setzte sich auch in 2023 fort. Zudem konnte auch ein gestiegener Organisationsgrad bei einzelnen saarländischen "Reichsbürger" bzw. eine bessere regionale Vernetzung festgestellt werden. Agitationsschwerpunkte waren politisch herausfordernde Themen, wie der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Auch hier wurden die Bauernproteste herangezogen, um auf die vermeintliche Unfähigkeit der Regierung aufmerksam zu machen. Daneben waren die Steigerung der Energiekosten und die Inflation ebenfalls Agitationsschwerpunkte von Reichsbürger. Auch die saarländischen Reichsbürger nutzten verstärkt die Sozialen Medien und den Messengerdienst Telegram, um ihre verfassungsfeindliche Propaganda zu verbreiten. Trotz der hohen Waffenaffinität auf Bundesebene gibt es in der saarländischen Szene allerdings nur wenige Waffenerlaubnisse.

Im Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" werden das staatliche System sowie dessen Regierungsvertretungen unter dem Deckmantel der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit permanent diffamiert und durch Falschbehauptungen und sog. "alternative Fakten" verächtlich gemacht. Dies mit dem Ziel, das Vertrauen in diese zu erschüttern und so die Funktionsfähigkeit des Staates zu beeinträchtigen.

Seit der Rücknahme der Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie verlor die vorherrschende Thematik der Delegitimierer deutlich an Mobilisierungskraft. Darauf folgte der Versuch, neue anschlussfähige Themen, wie den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, die damit einhergehenden Waffenlieferungen aus Deutschland, die gestiegene Inflation sowie die hohen Energiepreise zu besetzen. Hierbei wurde ersichtlich, dass sich die Proteste der Delegitimierer nun nicht mehr nur gegen einzelne staatliche Maßnahmen richteten, sondern gegen das "System". Jedoch konnte mit den neuen Themen keine vergleichbare Resonanz erreicht werden, wie im Kontext der Corona-Pandemie.

Das Personenpotenzial der dem Beobachtungsbereich Islamismus zugeordneten Organisationen, Gruppierungen und Einzelaktivisten im Saarland stieg im Jahr 2023 von 420 auf 430 Personen, wobei der Salafismus weiterhin die zahlenmäßig bedeutendste islamistische Strömung darstellt. Die überwiegende Mehrheit der Salafisten im Saarland wird dem politischen Salafismus zugerechnet. Nur ungefähr zehn Prozent gelten als gewaltorientiert. Dementsprechend geht nur von einigen wenigen Islamisten im Saarland tatsächlich eine potenzielle Gefahr im polizeilichen Sinne aus. Nichtsdestotrotz steht die Bundesrepublik Deutschland weiterhin im Fokus islamistischer Terroristen. Grundsätzlich kann es jederzeit zu gefährdungsrelevanten Ereignissen bis hin zu terroristischen Anschlägen in Deutschland und gegen deutsche Ziele im Ausland kommen.

Das Mitglieder- und Mobilisierungspotenzial auslandsbezogener extremistischer Gruppierungen im Saarland ist im Vergleich zum Vorjahr leicht gesunken. Die Struktur bzw. das Erscheinungsbild dieses Phänomenbereichs ist jedoch unverändert geblieben.

Die größte Gruppierung stellt weiterhin die in Deutschland seit dem Jahr 1993 mit einem Betätigungsverbot belegte "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) dar. Themenschwerpunkte der PKK sind das militärische Vorgehen der Türkei in den kurdischen Siedlungsgebieten in Nordsyrien, das Schicksal des Kurdenführers Abdullah ÖCALAN und das PKK-Verbot in Deutschland. Zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen PKK-Anhängern und nationalistischen/rechtsextremen Türken oder tätlichen Angriffen auf Polizeivollzugsbeamte ist es im Zusammenhang mit den anhaltenden Protestaktionen bislang jedoch nicht gekommen.

Die türkisch-rechtsextremistische Szene im Saarland ("Ülkücü"-Bewegung") ist hier mit einem Verein dachverbandlich organisiert. Die Mitglieder sind nicht öffentlichkeitswirksam in Erscheinung getreten. Dennoch ist das Spannungsverhältnis zwischen türkischen Nationalisten/Rechtsextremisten und PKK-Anhängern angesichts der anhaltenden türkischen Militäroperationen gegen die PKK im Nordirak und in Syrien als weiterhin hoch einzuschätzen.

Im Saarland gestalteten sich die Strukturen und das Erscheinungsbild des organisierten und gewaltorientierten Linksextremismus im vergangenen Jahr gegenüber 2022 überwiegend unverändert. Das Gesamtmitgliederpotenzial linksextremistischer Organisationen, Gruppierungen und Zusammenschlüsse hat sich verringert. Dem Phänomenbereich Linksextremismus im Saarland sind demnach schätzungsweise noch etwa 250 Personen zuzurechnen. Dabei stellt das organisierte linksextremistische Parteienspektrum einschließlich seiner Umfeldorganisationen nach wie vor den Hauptanteil mit ca. 185 Mitgliedern bzw. Anhängern dar. Die politische Bedeutungslosigkeit der orthodox-marxistisch-leninistischen oder maoistisch-stalinistisch ausgerichteten Organisationen besteht, bedingt durch interne Auseinandersetzungen sowie eine zunehmende Überalterung aufgrund fehlender Neumitglieder und der daraus resultierenden geringen Handlungs- und Mobilisierungsfähigkeit, fort.

Zu den zentralen Aktionsfeldern der gewaltorientierten linksextremistischen Szene im Saarland zählten neben "Antifaschismus/-rassismus", "Antirepression", "Kurdistan-Solidarität" sowie der Prozess vor dem Oberlandesgericht Sachsen (Dresden) gegen vier Personen der linksextremistischen Szene wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Das aktuelle Lagebild finden Sie unter https://www.saarland.de/mibs/DE/themen-aufgaben/aufgaben/verfassungsschutz/lagebilder/lagebilder_node.html

Medienansprechpartner

Jörg Hektor
Pressesprecher

Mainzer Straße 34
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