Österreichisches Parlament

11/07/2024 | Press release | Distributed by Public on 11/08/2024 05:10

Zeitzeugin im Interview: 'Keine Milch für jüdische Kinder'

News 07.11.2024, 13:01

Zeitzeugin im Interview: "Keine Milch für jüdische Kinder"

Zeitzeugin Lucia Heilman erinnert sich an ihre Kindheit im Wien der Nazi-Zeit.

Geahnt habe man die Dimension des Bösen zunächst nicht. Obwohl gleich zu Beginn ihr Großvater in der elterlichen Wohnung abgeholt wurde. "Die SS hat Sturm geläutet an der Tür. Die sind gekommen und haben den Großvater geholt. Ich bin sehr an ihm gehangen."

Das erzählt uns Zeitzeugin Lucia Heilman, als wir die 95-jährige Überlebende des NS-Regimes bei ihrer Tochter in Graz besuchen. Wir fragen Heilman, wie sie den März 1938 und die Novemberpogrome im "Deutschen Reich" - Österreich war schon ein Teil davon - erlebt hat.

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Parlamentsdirektion/Thomas Topf
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Lucia Heilman war als Zeitzeugin bei der Verleihung des Simon-Wiesenthal-Preises 2022 geladen.

Als die SS den Großvater holt

Der Großvater hat die kleine Lucia betreut, obwohl sie das oft gar nicht mochte. Aber beiden Eltern waren berufstätig. Der Großvater war schlecht zu Fuß, führte sie aber überall hin. Zum Nachmittagsunterricht zum Beispiel. Das habe sie gestört. An dieses Stören erinnert sie sich besonders gut. Sie wollte springen und laufen, musste aber neben dem alten Großvater gehen.

Da war es gut, dass in der Nähe der Wohnung ein Park lag. Ihr Park. Durfte sie doch dort nach 1938 noch Freundinnen treffen. Sie in ihre Wohnung einzuladen, war damals schon verboten. Doch mit der Zeit änderte sich auch das. Kindern wurde es verboten mit jüdischen Kindern im Park zu spielen.

Es war wie eine Ohrfeige

Es war tägliche Aufgabe der Volksschülerin, frische Milch für das Frühstück zu holen. Vis a vis der Wohnung lag das Milchgeschäft. Mit ihrem Kännchen stand das Kind Lucia Heilman in der Reihe. Die Verkäuferin kannte sie, doch Milch verkaufte sie ihr keine. "Jüdischen Kindern verkaufe ich keine Milch", sagte die Frau. Das Kind verstand nicht, warum es keine Milch bekam. "Es war wie eine Ohrfeige und das ist mir in Erinnerung geblieben. Dieses Gefühl vergeht nicht, obwohl ich schon über 90 bin."

Gewaltexzesse gegen die jüdische Bevölkerung

Die Novemberpogrome ereigneten sich in der Nacht von 9. auf 10. November 1938. Lucia Heilman war damals neun Jahre alt und wohnte im 9. Wiener Gemeindebezirk. Sie kann sich an den brennenden jüdischen Tempel erinnern. "Das war so schrecklich. Es ist alles verbrannt, es gab keine Möglichkeit mehr, in diesem Gotteshaus zu beten."

Novemberpogrome 1938

In der Nacht von 9. auf 10. November 1938 und in den darauffolgenden Tagen stürmten Nationalsozialisten jüdische Einrichtungen im gesamten "Deutschen Reich". Sie plünderten und zerstörten Geschäfte sowie Wohnungen von Juden und Jüdinnen, steckten Gebetshäuser in Brand und misshandelten die jüdische Bevölkerung.

Die gewalttätigen Übergriffe waren Teil einer koordinierten Aktion des nationalsozialistischen Regimes und führten zu Zerstörung, Leid und Tod.

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