12/03/2024 | Press release | Distributed by Public on 12/03/2024 05:55
Wäre es nicht faszinierend, klüger zu sein oder ein besseres Gedächtnis zu haben? Neuroenhancement beschreibt Methoden, die das Gehirn leistungsfähiger machen sollen. Dazu gehören Medikamente, elektrische Stimulationen oder Schnittstellen zwischen Gehirn und Computer. Ziel ist es, Wachheit, Konzentration und Gedächtnisleistung zu verbessern. Doch wie weit ist die Forschung tatsächlich? Welche Ansätze funktionieren, welche Nebenwirkungen gibt es, und welche Folgen hat das für die Gesellschaft? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des interdisziplinären Workshops "Interdisciplinary Perspectives on Neuroenhancement: Current Developments and Impact on the Individual and Society" ("Interdisziplinäre Perspektiven auf das Neuroenhancement. Aktuelle Entwicklungen und die Folgen für die Gesellschaft"), der vom 10. bis zum 12. Dezember am Bielefelder Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) stattfindet.
"Die meisten Studien zu Neurotechnologien, die auch für Neuroenhancement genutzt werden können, stammen bislang aus einem medizinischen Kontext, etwa zur Behandlung von Depressionen, AHDS, chronischen Schmerzen oder Epilepsie. Weniger ist bezüglich der Anwendung bei gesunden Menschen bekannt", berichtet der Bielefelder Soziologe Dr. Sebastian Sattler. Er leitet den Workshop gemeinsam mit der Philosophin Professorin Dr. Saskia Nagel (RWTH Aachen), dem Sozialwissenschaftler Professor Dr. Guido Mehlkop (Universität Erfurt) und dem Psychiater und Psychotherapeuten Dr. Dimitris Repantis (Charité Universitätsmedizin, Berlin). Gesellschaftliche Entwicklungen wie das Streben nach Selbstoptimierung oder Stress, Überforderung und Konkurrenz im Arbeitskontext ließen solche Verfahren allerdings inzwischen auch manchen gesunden Menschen attraktiv erscheinen, so der Soziologe. Doch können Medikamente, elektrische Stimulation oder Implantate wirklich die mentale Leistungsfähigkeit erhöhen?
© RWTH Aachen, Valerie Kloubert, Universität Erfurt.
"Die Berichterstattung in den Medien ist oft spektakulär, der tatsächliche Stand der Technik lässt sich aber gar nicht so leicht feststellen", berichtet Saskia Nagel. "Wir möchten in dem Workshop vor allem vier Fragen klären: 1. Wie wirksam und gefährlich ist Neuroenhancement? 2. Welche empirischen Belege gibt es für die Nutzung dieser Verfahren und was sind die individuellen und gesellschaftlichen Folgen? 3. Welche ethischen, rechtlichen und sozialen Fragen sind mit seiner Nutzung oder Ablehnung verbunden? 4. Sollte die Nutzung von Neuroenhancement reguliert werden?". Dazu haben die Forscher*innen internationale Kolleg*innen aus Ethik, Soziologie, Psychologie, Medizin, Politik-, Rechts- und Ingenieurswissenschaften nach Bielefeld eingeladen.
"In Studien wird immer wieder festgestellt, dass Proband*innen einen größeren Effekt wahrzunehmen meinen, als sich tatsächlich messen lässt", so Dimitris Repantis. "Oft scheinen da subjektive Überzeugungen und Hoffnungen eine Rolle zu spielen." Dabei zeigen Untersuchungen nicht nur ausbleibende Effekte, sondern manchmal auch negative Auswirkungen. "Es gibt noch viele ungeklärte Fragen zu Nebenwirkungen, Fairness und sozialen Folgen", ergänzt Sebastian Sattler. Seine Forschung zeigt außerdem, dass die Nutzung von Neuroenhancement oft als unmoralisch wahrgenommen wird. "Wenn etwa Kolleg*innen diese Methoden einsetzen, könnte das die Arbeitsmotivation anderer senken", so Sattler. "Wir werden uns auch damit befassen, wie Neuroenhancement unser Selbstbild und unsere Vorstellungen eines erfüllten Lebens beeinflussen können", ergänzt Guido Mehlkop. Der erste Schritt sei jedoch, den aktuellen Stand der Technik genau zu betrachten: Wie viel 'Verbesserung' des Gehirns ist überhaupt möglich und was gehört in den Bereich Science-Fiction?