WHO - World Health Organization Regional Office for Europe

12/11/2024 | News release | Distributed by Public on 12/12/2024 16:42

„Die Einstellung eines Arztes kann den Unterschied ausmachen“ – Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt in Rumänien mit Unterstützung der WHO

Im Jahr 2024 lernten über 90 medizinische Fachkräfte, Medizinstudenten und Leiter von Gesundheitseinrichtungen in Rumänien, wie sie Überlebende geschlechtsspezifischer Gewalt erkennen und unterstützen können. Das WHO-Länderbüro in Rumänien organisierte gemeinsam mit den rumänischen Behörden vier Schulungen unter dem Titel "Stärkung der Reaktion des Gesundheitssystems auf geschlechtsspezifische Gewalt".

In den letzten Jahren hat das Land wichtige Schritte unternommen, um sein Gesundheitssystem im Hinblick auf die Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt zu verbessern, und es hat Maßnahmen zur Umsetzung der Istanbuler Konvention ergriffen, einem Menschenrechtsvertrag, der Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt verhindern und bekämpfen soll.

Jedes Jahr beleuchtet die weltweite Kampagne 16 Days of Activism Against Gender-based Violence [16 Tage Aktivismus gegen geschlechtsspezifische Gewalt] die Fortschritte, die bei der Prävention und Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt erzielt wurden, sowie die Herausforderungen, die noch zu bewältigen sind. In Rumänien hat die Nationale Agentur für Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern zehn Zentren für Überlebende sexueller Gewalt eingerichtet. Sie sind in den Räumlichkeiten von Bezirkskrankenhäusern untergebracht und haben die Aufgabe, die Versorgung von Überlebenden durch einen integrierten Ansatz zu erleichtern.

Zuhören, erkennen und helfen

"Unabhängig von der Fachrichtung sollte jeder Arzt darauf vorbereitet sein, geschlechtsspezifische Gewalt zu erkennen und darauf zu reagieren", betont Elena Bernad, Geburtshelferin und außerordentliche Professorin an der Victor-Babeș-Universität für Medizin und Pharmazie in Timișoara, die an der jüngsten Schulung mitgewirkt hat.
Elenas Weg wurde durch persönliche Erfahrungen geprägt. Nachdem sie über Fälle von geschlechtsspezifischer Gewalt nachgedacht hatte, die in ihrer Praxis aufgrund mangelnder Informationen und Schulungen möglicherweise unerkannt geblieben waren, beschloss sie, die Gesundheitsversorgung im Hinblick auf geschlechtsspezifische Gewalt durch entsprechende Weiterbildungen zu verbessern.

Nachdem sie an einer Schulung über die Erstellung von Protokollen, die Bereitschaft von Einrichtungen und systembedingte Hindernisse für den Zugang zum Gesundheitssystem teilgenommen hatte, war Elena überzeugt, dass sie über die nötigen Fähigkeiten verfügt, um Fälle von geschlechtsspezifischer Gewalt zu erkennen und wirksam zu behandeln. Seitdem hat sie ihr Fachwissen mit Fachkollegen geteilt und so den Weg für sinnvolle Veränderungen geebnet.

Elenas Ansatz basiert auf drei Grundprinzipien: zuhören, erkennen und helfen. "Es reicht nicht aus, die Anzeichen von Gewalt zu erkennen", erklärt sie. "Man muss zuhören, ohne zu urteilen, sinnvolle Hilfe anbieten und dafür sorgen, dass sich Überlebende während des gesamten Prozesses sicher und unterstützt fühlen."

Elena unterstreicht auch die Bedeutung der multidisziplinären Zusammenarbeit in Krankenhäusern, in denen Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter und Juristen zusammenarbeiten sollten, um Überlebende zu unterstützen. Auf ihren eigenen Weg zurückblickend plädiert sie für die Aufnahme von Modulen zum Umgang mit geschlechtsspezifischer Gewalt in die Lehrpläne der medizinischen Fakultäten: "Die Einstellung eines Arztes kann den Unterschied ausmachen."

Bereitstellung einer ersten Anlaufstelle

Für Carla Pop, eine Medizinstudentin, die sich auf Geburtshilfe und Gynäkologie spezialisieren möchte, bot die Schulung einen Einblick darin, wie Gesundheitsdienstleister Überlebende von geschlechtsspezifischer Gewalt unterstützen können. "Vor diesem Kurs hatte ich nur ein oberflächliches Verständnis davon, wie man Überlebende unterstützt. Jetzt fühle ich mich besser gerüstet, als erste Anlaufstelle zu fungieren, unabhängig davon, ob ich mich auf Gynäkologie spezialisiere oder nicht", sagt sie.

Carla verließ sich bisher auf selbstverantwortliches Lernen, um geschlechtsspezifische Gewalt zu verstehen. Sie unterstreicht, wie wichtig es ist, diese Schulungen in die standardisierten medizinischen Lehrpläne aufzunehmen, um ein breiteres und differenzierteres Wissen zu vermitteln.

"Wenn die Ausbildung standardisiert ist, wird sichergestellt, dass die Studierenden eine umfassende und evidenzbasierte Ausbildung erhalten, die über die Theorie hinausgeht und reale Szenarien umfasst, die uns wirklich auf die medizinische Praxis vorbereiten", erklärt sie.

Da Gesundheitseinrichtungen oft die erste Anlaufstelle für Überlebende von geschlechtsspezifischer Gewalt darstellen, betont Carla, wie wichtig es ist, sowohl die Unsichtbarkeit als auch die Stigmatisierung von geschlechtsspezifischer Gewalt zu bekämpfen. "Oft erkennen sie sich selbst nicht als Überlebende. Ärzte können ein Rettungsanker sein, vor allem wenn Überlebende nicht anderweitig Hilfe suchen, aber wir müssen sichere Räume schaffen, damit sich die Überlebenden unterstützt fühlen."

Carla ist der Ansicht, dass die Einführung einer obligatorischen Schulung zu geschlechtsspezifischer Gewalt in allen medizinischen Fachbereichen die Fähigkeit des Gesundheitssystems, dieses Problem anzugehen, erheblich verbessern würde. "Geschlechtsspezifische Gewalt ist nicht so selten, wie wir vielleicht denken. Wenn jeder Arzt entsprechend geschult wird, schärfen wir das Bewusstsein dafür, wie wichtig es ist, zu wissen, wie wir die beste medizinische Versorgung bieten können."

Wegweisende ganzheitliche Versorgung

Simona Tămașan koordiniert das Interventionszentrum für sexuelle Gewalt, das sich in den Räumlichkeiten des Kreiskrankenhauses Pius Brînzeu in Timișoara befindet. Sie unterstreicht die transformative Wirkung einer speziellen Einrichtung in einem allgemeinen Krankenhaus, in diesem Fall einem der größten Krankenhäuser in Westrumänien.

"Das Zentrum bietet mehr als nur medizinische Versorgung - es bietet eine integrierte Versorgung für Überlebende", erklärt sie. "Seit seiner Einrichtung vor acht Monaten hat das Personal erhebliche Fortschritte in der Ausbildung gemacht. Das Zentrum hat es uns ermöglicht, das Bewusstsein für das äußerst sensible Thema der sexuellen Gewalt und der Gewalt durch Intimpartner zu schärfen und zu entstigmatisieren."

Simona unterstreicht zudem die Notwendigkeit, multidisziplinäre Teams zu schaffen, die für die Betreuung von Überlebenden von geschlechtsspezifischer Gewalt ausgebildet sind: "Durch die Durchführung von Schulungen zu geschlechtsspezifischer Gewalt in allen Abteilungen, von der Gynäkologie über die Psychiatrie bis hin zu den Sozialdiensten, können wir ein Netzwerk schaffen, das eine umfassende Versorgung von Überlebenden gewährleistet."

Sie betont außerdem, wie wichtig es ist, sowohl Risiko- als auch Schutzfaktoren zu berücksichtigen. "In fast allen Fällen hilft dieser Ansatz, damit zusammenhängende Probleme wie Abhängigkeit und Alkoholkonsum an die Oberfläche zu bringen."

Die Schulung hat es ihr und ihrem Team ermöglicht, ein standardisiertes Instrument zur Unterstützung von Überlebenden zu entwickeln und damit eine wichtige Lücke zu schließen. Im Rückblick auf das Schulungsprogramm betont sie dessen entscheidende Rolle bei der Entstigmatisierung von geschlechtsspezifischer Gewalt und der Förderung der Zusammenarbeit zwischen medizinischen, juristischen und sozialen Diensten. Darüber hinaus betont sie, dass das Gesundheitspersonal Unterstützung benötigt, um die emotionale Belastung durch diese Arbeit zu bewältigen.

Die nächsten Schritte für Rumänien

Die Erkenntnisse von Elena, Carla und Simona verdeutlichen die entscheidende Rolle von Gesundheitsanbietern beim Umgang mit geschlechtsspezifischer Gewalt. Zwar hat die Schulung zu Fortschritten beigetragen, doch gibt es weitere Herausforderungen, wie z. B. den Bedarf an mehr Modulen zu geschlechtsspezifischer Gewalt in den Lehrplänen für die Berufsvorbereitung, an speziellen Ressourcen und an kontinuierlicher beruflicher Weiterbildung.

"Der schwierigste Schritt - die Anerkennung des Problems und die Einrichtung spezieller Zentren - wurde bereits unternommen. Jetzt müssen wir uns auf Ausbildung, Zusammenarbeit und nachhaltige Überzeugungsarbeit konzentrieren, um sicherzustellen, dass kein Überlebender zurückgelassen wird", erklärt Simona.

Der Weg Rumäniens zeigt, wie wichtig Bildung, Zusammenarbeit und Mitgefühl bei der Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt sind. Es ist ein Weg, der zweifelsohne andere inspirieren kann.