Bundesland Schleswig-Holstein

10/17/2024 | Press release | Distributed by Public on 10/17/2024 03:18

Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken zur Krankenhausreform: Wir brauchen eine Reform, aber eine gute! Sicherung der Versorgung ist mit derzeitigem Gesetzentwurf gefährdet

KIEL/BERLIN. Der Bundestag will sich heute (17.10.) mit der Krankenhausreform (KHVVG) befassen. Bund und Länder waren Anfang 2023 zur Erarbeitung der notwendigen Reform in einem gemeinsamen Verfahren gestartet, das der Bund jedoch einseitig verlassen hatte. Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken betont:

"Wir brauchen eine Reform, aber eine gute. Die haben wir bisher nicht. Ich stelle fest, dass die wesentlichen, fachlich begründeten, Forderungen der Länder nicht berücksichtigt sind. Dazu gehören eine auskömmliche Übergangsfinanzierung bis die Reform greift, Bürokratieabbau anstatt Bürokratieaufbau, die Wahrung der Planungshoheit der Länder, eine Finanzierung, die auch die Grund- und Notfallversorgung in der Fläche verlässlich sichert sowie eine rechtzeitig vorgelegte Auswirkungsanalyse, die der Bundesminister mehrfach zugesagt, aber nicht geliefert hat. Mit dem bisher bekannten Gesetzesentwurf ist die Sicherung der Grund und- Notfallversorgung gerade im ländlichen Raum akut gefährdet und unkontrollierte Klinik-Insolvenzen werden sich fortsetzen. Wer dem Gesetzentwurf zustimmt, handelt verantwortungslos gegenüber den Patientinnen und Patienten und den Beschäftigten der Kliniken. Die einseitige Abkehr des Bundesministers von der gemeinsamen Erarbeitung dieser Reform hat dazu geführt, dass sie ihre Ziele nicht erreichen wird. Ich werde mich für die Anrufung des Vermittlungsausschusses im Bundesrat einsetzen, um notwendige Verbesserungen am Gesetz zu erzielen."

Den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf hatte der Bund entgegen der getroffenen Verabredung ohne die Länder verfasst, obwohl diese essentielle Belange von Bund und Ländern berühren. Auch die geeinte Stellungnahme aller 16 Länder zum Referentenentwurf hatte er nicht berücksichtigt und im parlamentarischen Verfahren wurden nur wenige Punkte davon aufgegriffen. Inhaltlich hat sich der Bund von den vereinbarten Eckpunkten entfernt und Vereinbarungen mit den Ländern nicht eingehalten. Dazu gehören beispielsweise die Zusage, den Gesetzesentwurf gemeinsam zu erarbeiten und ein zustimmungspflichtiges Gesetz zu erlassen (05.01.23), die Beteiligung des Bundes an einem Transformationsfonds zur Umsetzung der Krankenhausreform (Eckpunkte 10.07.), die Zusage, zentrale Verbesserungsvorschläge der Länder in einem neuen Arbeitsentwurf aufzugreifen (23.11.23) und die Zusage zu einer Auswirkungsanalyse rechtzeitig vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens (23.3.23 und 10.07.23).

"Völlig inakzeptabel ist der Umgang des Bundesministers mit seiner rund eineinhalb Jahren alten Zusage, dass mit ausreichendem Vorlauf vor Verabschiedung des Gesetzes eine Auswirkungsanalyse vorliegen wird. Davon ist weiterhin nichts Greifbares zu sehen. Die wiederholten Ankündigungen des Bundesministers ändern nichts daran, dass eine solche Analyse nun zu spät käme. Selbst wenn ein dafür erforderliches Instrument tatsächlich vorgelegt werden würde, kann kein fachlich Beteiligter ernsthaft annehmen, dass damit innerhalb kurzer Zeit eine seriöse Auswirkungsanalyse vorgenommen werden kann. Es ist äußerst fraglich, wie die Bundestagsabgeordneten ihrer Verantwortung gerecht werden, diesem Gesetz zuzustimmen, ohne die konkreten Auswirkungen zu kennen", so Ministerin von der Decken.

Die Krankenhausreform wird nach Verabschiedung erst in zwei bis drei Jahren wirken. Wer bis dahin bedarfsnotwendige Krankenhäuser sichern will, muss dafür sorgen, dass sie auskömmlich finanziert sind. "Der Bundesminister hat selbst klargestellt, dass die Umsetzung der Reform 10 Jahre in Anspruch nehmen wird und auch die finanziellen Auswirkungen erst ab 2027 zu erwarten sind. Das verdeutlicht die Notwendigkeit der von den Ländern fortwährend geforderten Übergangsfinanzierung umso deutlicher. Wir erleben bereits jetzt, dass Kliniken unkontrolliert in die Insolvenzen rutschen. Daran wird auch die Reform kurzfristig nichts ändern. Kliniken brauchen jetzt eine auskömmliche Finanzierung.", betont Ministerin von der Decken. Der Bund ist laut Grundgesetz für die "wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser" (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19a GG) zuständig.

Auswertungen des bisher vorliegenden Entwurfs des KHVVG ergaben:

  • Es fehlt weiter an einer tragfähigen Übergangsfinanzierung bis zum Greifen der Reform. Weitere Krankenhausinsolvenzen sind also wahrscheinlich und das greifbare Risiko für unkontrollierte Krankenhausschließungen bleibt bestehen.
  • Die GMK hat auf Bitten des Bundesministers in einem gemeinsamen Schreiben an den Bund zahlreiche Vorschläge zum Bürokratieabbau im Gesundheitswesen gemacht. Diese blieben jedoch bisher nahezu unberücksichtigt und es besteht unbedingter Nachbesserungsbedarf, um die Krankenhäuser zu entlasten und einem zentralen Ziel der Krankenhausreform, der Entbürokratisierung, gerecht zu werden.
  • Die geplante Ergänzung der bestehenden Betriebskostenfinanzierung um eine so genannte Vorhaltefinanzierung lässt durch das Zusammenspiel aus Mindestvorhaltezahlen pro Leistungsgruppe, pauschaler prozentualer Berechnung der Vorhaltevergütung und definiertem Fallzahlkorridor weiterhin Anreize zur Fehl- und Minderleistung erwarten. Hier besteht erheblicher Nachbesserungsbedarf, auch um eine Sicherung der Grund- und Notfallversorgung tatsächlich zu erreichen. Die aufgenommene Konkretisierung und Erweiterung der Evaluation durch das InEK nach Einführung der Vorhaltefinanzierung ist für die Einführung einer neuen Vergütungsregelung, welche erheblichen Einfluss auf die Krankenhauslandschaft nehmen wird, nicht sachgerecht. Vielmehr ist vor der Umsetzung eine umfassende Planung und Auswirkungsanalyse unbedingt erforderlich.
  • Ein Regelungsvorschlag zur Änderung des KHVVG ist, dass die jeweiligen Länder für den Transformationsfonds mit Antragstellung nachweisen müssen, das Insolvenzrisiko der beteiligten Krankenhäuser geprüft zu haben. Diese Prüfung macht aufwendige externe Beratungen erforderlich und sind aufgrund der Möglichkeit von unvorhersehbaren Ereignissen und deren Auswirkungen auf die Krankenhauslandschaft nahezu unmöglich - damit droht das Verfahren dazu insgesamt zu scheitern.
  • Der Gesetzentwurf stellt weiterhin einen erheblichen Eingriff in die Länderhoheit zur Krankenhausplanung dar. Die Mitwirkungsrechte der Länder bei der Gesetzgebung auf Bundesebene werden durch die Einstufung des Gesetzentwurfs als Einspruchsgesetz unzulässig beschränkt. Notwendige Gestaltungsspielräume für Leistungsgruppenzuweisungen auf Landesebene abseits des Bundesrechts zur Sicherstellung der örtlichen Gesundheitsversorgung werden beschnitten, bzw. nicht ermöglicht. Die Berücksichtigung länderspezifischer Gegebenheiten ist so nicht in ausreichendem Maß möglich. Gerade zur Sicherstellung einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung auch in ländlichen Regionen sind aber Gestaltungsspielräume der Landesbehörden Beispielsweise sieht der vorliegende Gesetzentwurf vor, dass sog. Sicherstellungshäuser, die für eine Notfallversorgung in einer Region notwendig sind, zu umfangreiche Anforderungen bei der Leistungsgruppenzuweisung erfüllen müssen. In der Fläche drohen damit Notaufnahmen wegzufallen.
  • Zudem berücksichtigt der Gesetzentwurf bereits erprobte und funktionierende Modelle sektorenübergreifender Versorgung nicht und verfehlt damit das Ziel, Sektorgrenzen wirkungsvoll zu überwinden.

Wollen die Länder eine Krankenhausreform? Ja, die Länder setzen sich seit mehr als eineinhalb Jahren intensiv für eine gute und gelingende Krankenhausreform ein.

Verzögern die Länder eine Krankenhausreform? Nein, die Länder haben sich entsprechend der Vereinbarungen mit dem Bund an den gemeinsamen Fahrplan zu Reform gehalten. Der Bund hat diesen gemeinsamen Pfad jedoch Mitte 2023 verlassen und den jetzigen Gesetzentwurf entgegen der getroffenen Verabredung ohne die Länder verfasst. Auch die die geeinte Stellungnahme aller 16 Länder zum Referentenentwurf hatte er nicht berücksichtigt. Inhaltlich hat sich der Bund von den vereinbarten Eckpunkten entfernt und Vereinbarungen mit den Ländern nicht eingehalten. Diese Vereinbarungen sind weiterhin öffentlich einsehbar: Krankenhausreform | BMG (bundesgesundheitsministerium.de)). Zu den nicht eingehaltenen Vereinbarungen gehören beispielsweise die Zusage, den Gesetzesentwurf gemeinsam zu erarbeiten und ein zustimmungspflichtiges Gesetz zu erlassen (05.01.23), die Zusage zu einer Auswirkungsanalyse vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens (23.3.23 und 10.07.23), die Beteiligung des Bundes an einem Transformationsfonds zur Umsetzung der Krankenhausreform (Eckpunkte 10.07.) oder die Zusage, zentrale Kritikpunkte der Länder in einem neuen Arbeitsentwurf aufzugreifen (23.11.).

Wie beteiligten sich die Länder an diesem Verfahren? Die Länder haben am 5.7. im Bundesrat eine umfangreiche Stellungnahme mit konkreten Verbesserungsvorschlägen inkl. Begründungen beschlossen. Die Länder- und parteiübergreifende Stellungnahme basierte im Kern auf der Stellungnahme der Länder, die bereits in der Länderanhörung zum Referentenentwurf gegenüber der Bundesregierung fristgerecht eingereicht aber nicht berücksichtigt wurde.

Wofür haben sich die Länder im Verfahren zur Krankenhausreform eingesetzt?

  • eine Überbrückungsfinanzierung für die Krankenhäuser bis zum Wirken der Reform
  • eine echte, d.h. fallzahlenunabhängige Vorhaltevergütung für die Sicherung der Grund- und Notfallversorgung
  • Gestaltungsspielräume für die Krankenhausplanung der Länder, also die Möglichkeit von Kooperationen und Netzwerken, vor allem zu Sicherstellung der Versorgung im ländlichen Raum
  • keine Mindestvorhaltezahlen (zusätzlich zu den Mindestmengen des GBA)
  • Koordinierungs- und Vernetzungsaufgaben nicht nur durch Universitätsklinika, sondern auch durch andere große Krankenhäuser
  • eine Aufnahme und praxistaugliche Definition der Fachkliniken
  • eine praxisnahe und auskömmlich finanzierte Regelung von sektorenübergreifenden, d.h. ambulant-stationären Versorgern
  • Bürokratieabbau statt Bürokratieaufbau
  • eine Beteiligung des Bundes am Transformationsfonds zur Umsetzung der Krankenhausreform
  • eine Auswirkungsanalyse vor Verabschiedung des KHVVG

Rettet die geplante Krankenhausreform die Krankenhäuser vor der Insolvenz?
Die Krankenhausreform wird nach Verabschiedung erst in zwei bis drei Jahren wirken. Wer bis dahin bedarfsnotwendige Krankenhäuser sichern will, muss dafür sorgen, dass sie auskömmlich finanziert sind. Das kann nur der Bund, der für die "wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser" (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19a Grundgesetz) zuständig ist. Der Bund muss daher eine Übergangsfinanzierung schaffen. Die Länder haben vor mehreren Monaten in einer Bundesratsinitiative fünf Maßnahmen genannt, die eine solche Übergangsfinanzierung ermöglichen würden. Der Bund könnte dazu ein zusätzliches Gesetz erlassen oder den Gesetzentwurf zur Krankenhausreform entsprechend ändern.

Können die Länder die Insolvenzen der Krankenhäuser durch Investitionen aufhalten?
Nein. Eine Insolvenz ist in der Regel damit begründet, dass die laufenden Ausgaben die Einnahmen dauerhaft übersteigen. Die Gründe, warum Krankenhäuser Insolvenz anmelden, liegen vor allem in erhöhten Betriebsausgaben, etwa aufgrund von Tarifsteigerungen, der Steigerung von Energiekosten oder der Inflation insgesamt. Für die Regulierung der Krankenhausvergütung, bzw. die "wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser" ist der Bund verantwortlich (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19a Grundgesetz). Er muss dafür sorgen, dass die Betriebskosten der Krankenhäuser entsprechend finanziert werden. Die Länder haben keine Kompetenzen, um die derzeitige, nicht ausreichende Betriebskostenfinanzierung zu ändern. Die Länder sind für die Investitionen in den Bau und in die Grundausstattung der Kliniken zuständig. Es ist richtig, dass auch dort großer Bedarf besteht. Dieser macht im Verhältnis zu den Betriebseinnahmen rechnerisch jedoch nur einen Bruchteil der Krankenhauskosten insgesamt aus und ist nicht ausschlaggebend für Insolvenzen.

Warum hatten die Länder das Finanzierungsmodell im Gesetzentwurf der BR kritisiert? Die Länder fordern seit Jahren eine Vorhaltevergütung - allerdings eine echte, d.h. fallzahlenunabhängige. Entgegen der kommunizierten Informationen des Bundes besteht im von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf jedoch weiterhin eine mittelbare Abhängigkeit der - so genannten - Vorhaltevergütung von den erbrachten Fallzahlen einer Klinik (mittelbar, da ein Bezug zu den Fallzahlen in den Vorjahren besteht). Damit erzielt die in dem Gesetzesentwurf vorgesehene Regelung gerade nicht die gemeinsam verabredeten Ziele zwischen Bund und Ländern. Die vorgesehene Vorhaltevergütung führt nicht zu einer Entökonomisierung. Damit würden potentielle Fehlanreize bestehen bleiben, sogar neue geschaffen werden, und auch gerade die Grund- und Notfallversorgung in der Fläche weiterhin nicht gesichert sein.

Verantwortlich für diesen Pressetext: Oliver Breuer / Christian Kohl / Max Keldenich | Ministerium für Justiz und Gesundheit | Lorentzendamm 35, 24103 Kiel | Telefon 0431 988-2654 | E-Mail: [email protected]| Medien-Informationen der Landesregierung finden Sie aktuell und archiviert im Internet unter www.schleswig-holstein.de| Das Ministerium finden Sie im Internet unter www.schleswig-holstein.de/mjg