Office of the Federal President of the Republic of Austria

10/02/2024 | Press release | Distributed by Public on 10/02/2024 06:55

Bundespräsident: »Es gab gewiss einfachere Legislaturperioden«

Rede von Alexander Van der Bellen anlässlich Enthebung der Bundesregierung und Betrauung ihrer Mitglieder mit der Fortführung der Verwaltung.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Nehammer,

sehr geehrter Herr Vizekanzler Kogler,

werte Mitglieder der Bundesregierung!

Liebe Österreicherinnen und Österreicher und alle Menschen, die hier leben!

Der 7. Jänner 2020 ist ganz schön lange her. An jenem Tag habe ich diese Koalitionsregierung angelobt. Im Rückblick fragt man sich, wie all das, was in der Zeit Ihrer Regierung passiert ist, in eine einzige Legislaturperiode passen kann.

Im Rückblick mag vieles seinen Schrecken eingebüßt haben, aber so ist das mit Rückblicken.

Die Pandemie war eine der größten Herausforderungen in unserer Generation. Sie hat uns allen gemeinsam viel abverlangt.

Der Terrorismus hat seine Fratze auch in unserem Land gezeigt.

Der Krieg hat seinen Weg bis in die Nähe unserer Haustür gefunden. Die Inflation als Folge hat unsere Gesellschaft zusätzlich unter Druck gebracht.

Und der Hitzesommer und das verheerende Hochwasser haben uns an die Klimakrise erinnert.

Es gab gewiss einfachere Aufgaben, es gab gewiss einfachere Legislaturperioden.

Es waren durchwegs sehr bewegte Jahre, die viele Entscheidungen verlangt haben, von denen viele auch nicht leicht waren.

Ich möchte Ihnen aus ganzem Herzen danken, dass Sie in dieser Zeit Verantwortung für unser Land übernommen haben.

Und ich möchte auch erwähnen, dass diese Regierung die vollen 5 Jahre ihre Verantwortung wahrgenommen hat. Dafür war es immer wieder notwendig aufeinander zu zugehen und Lösungen zu finden. Auch das halte ich für eine echte Qualität, besonders unter den Umständen der letzten Jahre.

Und die nächsten fünf Jahre? Die werden auch Herausforderungen bringen. Die erste beginnt schon jetzt: Eine neue Regierung ist zu bilden.

Jetzt geht es darum, miteinander zu reden. Und eine tragfähige Mehrheit zu finden.

Wenn das braucht Zeit, ist diese Zeit gut investiert.

Ich persönlich werde in einem ersten Schritt mit Vertreterinnen und Vertretern aller Parlamentsparteien reden: Der FPÖ, der ÖVP, der SPÖ, der NEOS und der Grünen.

Ich werde das mit der nötigen Ruhe und in der nötigen Tiefe tun.

Meine Damen und Herren!

Der Wahlkampf ist vorbei. Diese Auseinandersetzung ist vorbei.

Jetzt geht es darum, Kompromisse zu finden und gemeinsame Antworten auf drängende Fragen - ich nenne nur einige:

  • Teuerung und Pensionen?
  • Bleibt der Wirtschaftsstandort Österreich attraktiv?
  • Wie bewältigen wir die Klimakrise?
  • Wie stellen wir Chancengleichheit für Frauen und Männer her?
  • Wie sichern wir Gesundheitsversorgung und Pflege?
  • Wie gehen wir konstruktiv und lösungsorientiert mit den Themen Flucht, Migration und Integration um?
  • Erhalten unsere Kinder wirklich die beste Bildung?
  • Wie leisten wir einen konstruktiven Beitrag in der Europäischen Union und welches Bild von Österreich wollen wir Europa und der Welt zeigen?

Und es gibt noch mehr drängende Fragen. Darauf müssen Antworten gefunden werden.

Und wie ich schon am Wahlabend gesagt habe, ist mir bei der Regierungsbildung wichtig, dass die Grundpfeiler unserer liberalen Demokratie respektiert werden: z.B. der Rechtsstaat, die Gewaltenteilung, die Menschen- und Minderheitenrechte, unabhängige Medien und die EU-Mitgliedschaft.

Und respektvoller Umgang miteinander. Worte schaffen Realität, wir müssen sie mit Bedacht wählen.

Diese Grundpfeiler sind das Fundament, auf dem wir unseren Wohlstand und unsere Sicherheit aufgebaut haben.

Meine Damen und Herren,

ich komme nun zum formalen Teil unseres Treffens. Und gestatten Sie mir, dass ich der Einfachheit halber alle akademischen Titel weglasse.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler!

Sie haben mir im Beisein des Vizekanzlers mitgeteilt, dass der Ministerrat in seiner heutigen Sitzung die Demission der Bundesregierung beschlossen hat. Ich nehme das zur Kenntnis und enthebe hiermit gemäß Artikel 74 Absatz 3 des Bundes-Verfassungsgesetzes die Bundesregierung sowie gemäß Artikel 74 Absatz 3 in Verbindung mit Artikel 78 Absatz 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes die Staatssekretärinnen auf deren Wunsch vom Amte.

Gleichzeitig betraue ich sämtliche Mitglieder der scheidenden Bundesregierung gemäß Artikel 71 des Bundes-Verfassungsgesetzes bzw. gemäß Artikel 71 in Verbindung mit Artikel 77 Absatz 3 des Bundes-Verfassungsgesetzes bis zur Bildung einer neuen Bundesregierung mit der Fortführung der Verwaltung und den Bundeskanzler mit dem Vorsitz in der einstweiligen Bundesregierung.

Die Bundesministerinnen im Bundeskanzleramt Karoline EDTSTADLER und Susanne RAAB betraue ich in dem sich aus den Entschließungen vom 29. Jänner 2020 bzw. vom 30. Dezember 2021 ergebenden Umfang.

Schließlich ernenne ich Frau Claudia PLAKOLM und Frau Susanne KRAUS-WINKLER gemäß Artikel 70 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 78 Absatz 2des Bundes-Verfassungsgesetzes bis zur Bildung einer neuen Bundesregierung zu Staatssekretärinnen.

Dem mit der Fortführung der Verwaltung betrauten Bundeskanzler gebe ich Frau Claudia PLAKOLM und dem mit der Fortführung der Verwaltung betrauten Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Frau Susanne KRAUS-WINKLER zur Unterstützung in der Geschäftsführung und zur parlamentarischen Vertretung bei.

An dieser Stelle möchte ich festhalten, dass einer einstweiligen Bundesregierung rechtlich alle Befugnisse zustehen, die mit der Ausübung der Regierungsgeschäfte verbunden sind.

Gemäß den einschlägigen Bestimmungen der Bundesverfassung sind auch die mit der Fortführung der Verwaltung betrauten Mitglieder der Bundesregierung und die Staatssekretärinnen vor Antritt ihres Amtes anzugeloben.

Ich ersuche Sie daher, folgendes Gelöbnis zu leistenund mit Ihrem Handschlagsowie durch Ihre Unterschrift zu bekräftigen.

"Ich gelobe, die Bundesverfassung und alle Gesetze der Republik Österreich getreulich zu beobachten und die mit Ihrem Amte verbundenen Pflichten nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen."

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