DAV - Deutscher Anwaltverein e.V.

10/18/2024 | Press release | Archived content

Europa im Überblick, 35/2024

EiÜ 35/24

Richtlinie über Plattform­arbeit final beschlossen - Rat

Der Rat der Europäischen Union hat am 14. Oktober 2024 einen Richtli­ni­en­vor­schlag angenommen, welcher die Arbeits­be­din­gungen von mehr als 28 Millionen Menschen, die für digitale Plattformen arbeiten, erheblich verbessern sollen (PM). Mit der neuen Richtlinie zur Plattform­arbeit (Endfassung hier abrufbar) wird sogenanntes 'algorith­misches Management' reguliert und Arbeit­neh­menden das Recht eingeräumt, automa­ti­sierte Entschei­dungen anzufechten. Gleich­zeitig wird eine gesetzliche Vermutung für ein Arbeits­ver­hält­nis­ver­hältnis eingeführt, um den korrekten Beschäf­ti­gungs­status zu bestimmen. Die Europäische Kommission hat die Verbes­serung der Plattform­arbeit mit ihrem Vorschlag vom 9. Dezember 2021 angestoßen, vgl. EiÜ 1/22). Die Richtlinie zielt darauf ab, die Rechte von Arbeit­neh­menden zu konkre­ti­sieren, aber auch den Zugang zu Sozial­leis­tungen zu verbessern. Der DAV hatte den Richtli­ni­en­vor­schlag zum Schutze der Beschäf­tigten begrüßt, allerdings auch eine Anpassung der im Vorschlag enthaltenen Kriterien gefordert, aus denen das Vorliegen eines Arbeits­ver­hält­nisses abgeleitet werden soll (vgl. SN 6/22). Die Richtlinie wird nach der Unterzeichnung und der Veröffent­lichung im Amtsblatt der EU in Kraft treten. Die Mitglied­staaten haben dann zwei Jahre Zeit, die Vorschriften in nationales Recht umzusetzen.

Deutschland wegen Abschiebung nach Griechenland verurteilt - EGMR

Am 15. Oktober 2024 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschen­rechte (EGMR) Deutschland wegen der Abschiebung eines syrischen Flüchtlings nach Griechenland (Rs.13337/19). Der Kläger wurde 2018 an der deutsch-österrei­chischen Grenze festge­nommen, als er versuchte, mit einem gefälschten Dokument einzureisen. Noch am selben Tag wurde er auf Grundlage eines bilateralen Verwal­tungs­ab­kommens nach Griechenland abgeschoben, wo er für zwei Monate und 17 Tage in einer Polizei­station inhaftiert wurde. Der EGMR kommt zu dem Ergebnis, dass Deutschland gegen die verfah­rens­rechtliche Verpflichtung verstoßen hat, die aus Artikel 3 der EMRK resultiert. Die deutschen Behörden hätten insbesondere prüfen müssen, ob Anlass zur Annahme eines ordent­lichen Asylver­fahrens in Griechenland bestand, das den Antrag­steller vor Abschiebung in ein Land schützt, in dem ihm Verfolgung oder schwer­wiegende Menschen­rechts­ver­let­zungen drohen und ferner ob Anlass zur Annahme bestand, dass er in Griechenland nicht unter menschen­rechts­widrigen Bedingungen festge­halten würde. Der EGMR begründet seine Entscheidung ferner mit fehlendem anwalt­lichem Beistand vor der Abschiebung nach Griechenland. Die Haftsi­tua­tionen in Griechenland waren durch den EGMR mehrfach als menschen­rechts­widrig eingestuft worden und auch der UNHCR hatte die Aufnah­me­be­din­gungen bemängelt.

Urteil zu Alters­grenzen bei Anwalts­notaren und Bundes­richtern - EuGH

Der EuGH hat am 17. Oktober 2024 in zwei Entschei­dungen in Vorabent­schei­dungs­er­suchen aus Deutschland über die Alters­grenze von Anwalts­notaren und von Bundes­richtern geurteilt und beide für rechtmäßig und nichtdis­kri­mi­nierend befunden. In der Rechtssache C-408/23, "Anwalts­notarin", befand der EuGH unter Auslegung des Art. 6 Abs. 1 der Gleich­be­hand­lungs­rah­men­richtlinie 2000/78 im Licht von Art. 21 der EU-Grundrech­te­charta, dass die Höchst­al­ters­grenze für die erstmalige Bestellung von Anwalts­notaren von 60 Jahren rechtmäßig ist, insofern ein legitimes Ziel der Beschäf­ti­gungs­politik verfolgt wird, das im nationalen Kontext angemessen und erforderlich ist. In der Rechtssache C-349/23, "Zetschek" entschied der EuGH, dass es keine Alters­dis­kri­mi­nierung nach Art. 2 Abs. 2 lit a der Gleich­be­hand­lungs­rah­men­richtlinie darstellt, dass Bundes­richter den Eintritt in den Ruhestand nicht hinaus­schieben können, während Bundes- und Landes­beamte dies dürfen. Die Ungleich­be­handlung beruhe nämlich auf der Berufs­gruppe, zu der die Betroffenen auf Bundes- oder Landesebene gehören, und nicht auf dem Alter.

Digita­li­sie­rungs­bremse: Vorbehalt technischer Verfüg­barkeit ­- EuGH

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich zur Verpflichtung der Mitglied­staaten geäußert, die Einreichung von elektronisch signierten Schrift­sätzen bei Gerichten zu akzeptieren. Das Urteil vom 17. Oktober 2024 betrifft die Frage, ob die Verordnung (EU) 910/2014 über elektro­nische Identi­fi­zierung und Vertrau­ens­dienste für elektro­nische Transak­tionen im Binnenmarkt (Artikel 2 Abs. 1 und 3 in Verbindung mit Artikel 25 Abs. 1 und 2) die Gerichte eines Mitglied­staats dazu verpflichtet, einen Schriftsatz, der mit einer elektro­nischen Signatur im Sinne von Art. 3 Nr. 10 versehen ist, zu akzeptieren, auch wenn das nationale Recht nur die Einreichung über ein geeignetes IT-System vorsieht, über das das Gericht verfügt. Der EuGH urteilte, dass die Verordnung zwar das Ziel verfolgt, die Nutzung elektro­nischer Signaturen zu fördern, jedoch den Mitglied­staaten die Freiheit lässt, formale Anforde­rungen für die Einreichung von Schrift­sätzen festzulegen. Nach polnischem Recht können Schriftsätze nur elektronisch eingereicht werden, wenn ein geeignetes IT-System bei dem Gericht vorhanden ist. Dies führte zu der Vorlagefrage des polnischen Gerichts, ob eine solche Einschränkung mit der Verordnung vereinbar sei. Der EuGH gibt mit seiner Entscheidung nationalen Rechts­vor­schriften grünes Licht, die die Einreichung eines Schrift­satzes in elektro­nischer Form und mittels elektro­nischer Signatur nur dann zulassen, wenn ein geeignetes System tatsächlich verfügbar ist.

Aktuali­sierte Risiko­be­wertung vor Rückkehr­ent­schei­dungen - EuGH

Verwal­tungs­be­hörden sind verpflichtet, vor der Vollstreckung von Rückkehr­ent­schei­dungen eine aktuali­sierte Gefahren­be­wertung für Drittstaats­an­ge­hörige vorzunehmen. Dies ergibt sich aus Art. 5 der Richtlinie 2008/115 in Verbindung mit Art. 18 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der EU (GRCh), wie der EuGH am 17. Oktober 2024 in der Rechtssache C-156/23 feststellte. Im zugrunde liegenden Fall ging es um die Vollstreckung einer Rückkehr­ent­scheidung, die einige Jahre zuvor gegen eine armenische Familie erlassen worden war. Der EuGH entschied, dass Verwal­tungs­be­hörden bei der Ablehnung eines Aufent­halts­ti­tel­antrags mit dem die Aussetzung der Vollstreckung einer zuvor erlassenen Rückkehr­ent­scheidung verbunden ist, sicher­stellen müssen, dass der Grundsatz der Nichtzu­rück­weisung eingehalten wird, indem sie die vorherige Rückkehr­ent­scheidung im Hinblick auf diesen Grundsatz überprüfen. Nationale Gerichte sind bei der Prüfung eines Rechts­behelfs gegen eine ablehnende Entscheidung von Amts wegen verpflichtet, mögliche Verstöße gegen den Grundsatz der Nichtzu­rück­weisung festzu­stellen, die sich aus der Vollstreckung der Rückkehr­ent­scheidung ergeben können (Art. 13 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 5 der Richtlinie 2008/115 sowie Art. 19 Abs. 2 und Art. 47 der GRCh). Der Gerichtshof folgte damit den Schluss­an­trägen des General­anwalts Jean Richard de la Tour aus dem Mai 2024, vgl. dazu bereits EiÜ 20/24.