WHO - World Health Organization Regional Office for Europe

09/25/2024 | Press release | Distributed by Public on 09/25/2024 05:30

Jugendliche, Bildschirme und psychische Gesundheit

Kopenhagen, 25. September 2024

Neue Daten des WHO-Regionalbüros für Europa deuten auf einen starken Anstieg der problematischen Nutzung sozialer Medien bei Jugendlichen hin, wobei die Raten von 7 % im Jahr 2018 auf 11 % im Jahr 2022 gestiegen sind. In Verbindung mit der Erkenntnis, dass 12 % der Jugendlichen durch problematisches Spielverhalten gefährdet sind, gibt dies Anlass zu großer Sorge über die Auswirkungen der digitalen Technologie auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden junger Menschen. Die Erkenntnisse stammen aus der Studie zum Gesundheitsverhalten von Kindern im schulpflichtigen Alter (HBSC-Studie), in deren Rahmen im Jahr 2022 fast 280 000 junge Menschen im Alter von 11, 13 und 15 Jahren in 44 Ländern und Regionen in Europa, Zentralasien und Kanada befragt wurden.

Die wichtigsten Erkenntnisse:

  • Mehr als jeder zehnte Jugendliche (11 %) zeigte Anzeichen eines problematischen Verhaltens im Hinblick auf die sozialen Medien, hatte Schwierigkeiten, die Nutzung sozialer Medien zu kontrollieren, und hatte mit negativen Folgen zu kämpfen. Die Angaben von Mädchen deuteten auf ein höheres Maß einer problematischen Nutzung sozialer Medien hin als bei Jungen (13 % gegenüber 9 %).
  • Mehr als ein Drittel (36 %) der jungen Menschen gab an, ständig online mit Freunden in Kontakt zu stehen, wobei die höchsten Raten bei 15-jährigen Mädchen (44 %) zu verzeichnen waren.
  • Ein Drittel (34 %) der Jugendlichen spielte täglich digitale Spiele, wobei mehr als jeder Fünfte (22 %) an Spieltagen mindestens 4 Stunden lang spielte.
  • 12 % der Jugendlichen sind durch problematisches Spielverhalten gefährdet, wobei Jungen eher als Mädchen Anzeichen für problematisches Spielverhalten zeigen (16 % gegenüber 7 %).
Der Bericht definiert die problematische Nutzung sozialer Medien als ein Verhaltensmuster, das durch suchtähnliche Symptome gekennzeichnet ist. Hierzu zählen die Unfähigkeit, die Nutzung sozialer Medien zu kontrollieren, Entzugserscheinungen bei Nichtnutzung, die Vernachlässigung anderer Aktivitäten zugunsten sozialer Medien und negative Folgen im täglichen Leben aufgrund einer übermäßigen Nutzung.

Auswirkungen der zunehmenden problematischen Nutzung sozialer Medien

Der Anstieg der problematischen Nutzung sozialer Medien bei Jugendlichen gibt Anlass zu großer Sorge hinsichtlich der möglichen Auswirkungen auf junge Menschen. Frühere Untersuchungen ergaben, dass problematische Nutzer sozialer Medien im Vergleich zu nicht-problematischen Nutzern und Nichtnutzern auch über ein geringeres seelisches und soziales Wohlbefinden und einen höheren Substanzkonsum berichteten. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, könnte dies weitreichende Folgen für die Entwicklung von Jugendlichen und ihre langfristige Gesundheit haben. Darüber hinaus wird eine problematische Nutzung sozialer Medien mit weniger Schlaf und späterem Zubettgehen in Verbindung gebracht, was sich möglicherweise auf die allgemeine Gesundheit und die schulischen Leistungen von Jugendlichen auswirkt.

"Es ist klar, dass soziale Medien sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden von Jugendlichen haben können", so Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa. "Deshalb ist die Vermittlung von Medienkompetenz so wichtig. Dennoch ist sie in vielen Ländern nach wie vor unzureichend, und wo sie verfügbar ist, hält sie oft nicht mit den jungen Menschen und der sich schnell entwickelnden Technologie Schritt. Wir sehen die Folgen dieser Lücke, und es ist wahrscheinlich, dass es noch schlimmer wird, wenn Regierungen, Gesundheitsbehörden, Lehrer und Eltern die Ursachen der aktuellen Situation nicht erkennen und etwas dagegen unternehmen. Während Millionen von Kindern in der gesamten Region nach den Sommerferien nun wieder zum Schulbetrieb zurückgekehrt sind, erwägen einige Länder Beschränkungen oder vollständige Verbote von sozialen Medien für Kinder bis zu einem bestimmten Alter. Es ist klar, dass wir sofortige und nachhaltige Maßnahmen ergreifen müssen, um Jugendlichen dabei zu helfen, die potenziell schädliche Nutzung sozialer Medien umzukehren, die nachweislich zu Depressionen, Mobbing, Angstzuständen und schlechten schulischen Leistungen führt."

Positive Aspekte der Nutzung sozialer Medien

Der Bericht hebt zwar die Risiken hervor, unterstreicht aber auch die Vorteile einer verantwortungsvollen Nutzung sozialer Medien. Jugendliche, die zwar intensive, aber nicht-problematische Nutzer sind, berichteten von stärkerer Unterstützung durch Gleichaltrige und sozialen Verbindungen.

Ein 17-jähriger Junge aus Polen sagte: "Soziale Medien haben viele Vorteile, vor allem, wenn sie in Maßen genutzt werden. Zu den Vorteilen gehören Verbundenheit und Vernetzung. Jugendliche können andere kennenlernen, die ihre Leidenschaften und Interessen teilen."

"Diese Studie zeigt sowohl die Chancen als auch die Gefahren des digitalen Engagements für unsere jungen Menschen auf", sagte Dr. Natasha Azzopardi-Muscat, Direktorin der Abteilung Gesundheitspolitik und Gesundheitssysteme der Länder im WHO-Regionalbüro für Europa. "Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir Maßnahmen zum Schutz der Jugend ergreifen, um ihnen zu ermöglichen, sich sicher durch die digitale Landschaft zu bewegen, und sie in die Lage zu versetzen, fundierte Entscheidungen über ihre Online-Aktivitäten zu treffen, die Vorteile zu maximieren und gleichzeitig die Risiken für ihr seelisches und soziales Wohlbefinden zu minimieren. Kurz gesagt: sie sollten die sozialen Medien beherrschen und sich nicht von den sozialen Medien beherrschen lassen."

Spieltrends und ihre Folgen

Der Bericht zeigt zudem, dass 34 % der Jugendlichen täglich digitale Spiele spielen, wobei 22 % an Spieltagen mindestens 4 Stunden lang spielen. Während 68 % als nicht-problematische Spieler eingestuft wurden, waren 12 % durch problematisches Spielverhalten gefährdet.

Eine frühere HBSC-Studie, die problematisches Online-Spielverhalten in fünf Ländern untersuchte, stellte Zusammenhänge zu geringerer Lebenszufriedenheit, häufigeren psychischen Beschwerden und geringerer Unterstützung durch Gleichaltrige fest. Für viele Jugendliche ist das Spielen jedoch nach wie vor ein harmloser oder sogar nützlicher Zeitvertreib.

Dr. Claudia Marino, eine der Autorinnen des Berichts von der Universität Padua, stellte fest: "Die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei Spielmustern sind auffällig. Jungen spielen nicht nur häufiger täglich, sondern entwickeln auch eher problematische Spielgewohnheiten. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit gezielter Interventionen, die geschlechtsspezifische Motivationen und Risikofaktoren beim Spielverhalten berücksichtigen."

Gezielte Interventionen

Interventionen zur Bekämpfung der problematischen Nutzung sozialer Medien sollten altersgerecht, geschlechtersensibel und kulturell angepasst sein. Sie sollten sich darauf konzentrieren, jungen Menschen bei der Entwicklung digitaler Kompetenzen zu helfen, gesundes Online-Verhalten zu fördern und diejenigen zu unterstützen, die durch eine problematische Nutzung gefährdet sind.

Ein Junge aus England etwa schlug vor: "Ich denke, es ist wichtiger, soziale Medien besser und sicherer zu machen und den Menschen beizubringen, wie sie sie sicher nutzen und dabei auf sich selbst achten können."

Dies unterstreicht die Notwendigkeit verbesserter digitaler Umgebungen und einer entsprechenden Aufklärung, die junge Menschen dazu befähigt, sich sicher im Internet zu bewegen.

Ein Fahrplan mit Maßnahmen

Obwohl die Ergebnisse ernüchternd sind, bieten sie doch zugleich einen Fahrplan für das weitere Vorgehen. Das WHO-Regionalbüro für Europa, das für Europa und Zentralasien zuständig ist, fordert politische Entscheidungsträger, Pädagogen und Anbieter von Gesundheitsleistungen dazu auf, dem digitalen Wohlbefinden von Jugendlichen mehr Priorität einzuräumen, und richtet dabei folgende spezifische Handlungsappelle an diese Zielgruppen:
  • Mehr Investitionen in ein gesundheitsförderndes schulisches Umfeld, das die Vermittlung digitaler Kompetenzen umfasst. Umsetzung evidenzbasierter Programme in Schulen, die sich mit dem verantwortungsvollen Umgang mit sozialen Medien, Online-Sicherheit, kritischem Denken und gesunden Spielgewohnheiten befassen.
  • Ausweitung der psychischen Gesundheitsversorgung. Gewährleistung des Zugangs zu vertraulichen, unvoreingenommenen und erschwinglichen Angeboten der psychischen Gesundheitsversorgung, die sich mit Problemen befassen, die sich aus der problematischen Nutzung digitaler Technologien ergeben.
  • Förderung eines offenen Dialogs. Anregung von Gesprächen über das digitale Wohlbefinden in Familien, Schulen und Gemeinschaften, um Stigmatisierung zu verringern und das Bewusstsein zu schärfen.
  • Schulung von Pädagogen und Gesundheitsfachkräften. Angebot spezieller Schulungen, um eine effektive und integrative digitale Kompetenz und entsprechende Unterstützung zu gewährleisten.
  • Durchsetzung der Rechenschaftspflicht von Plattformen. Sicherstellung, dass Social-Media-Plattformen Altersbeschränkungen durchsetzen, und Schaffung eines Regulierungsrahmens, der die verantwortungsvolle Gestaltung digitaler Tools für junge Nutzer fördert.
"Letztendlich wollen wir für unsere Kinder eine solide Grundlage für das Leben im digitalen Zeitalter schaffen, etwas, das Social-Media-Unternehmen und junge Menschen weltweit allmählich anerkennen und umsetzen", schloss Dr. Kluge. "Digitale Kompetenz im Kontext der kindlichen Entwicklung und des kindlichen Wohlbefindens, die durch das richtige Wissen zur richtigen Zeit zusammen mit den richtigen Gesundheits- und anderen Unterstützungsleistungen vermittelt wird, ist von entscheidender Bedeutung. Indem wir Jugendliche in die Lage versetzen, fundierte Entscheidungen über ihre Online-Aktivitäten zu treffen und ihr Leben online und offline in Einklang zu bringen, tragen wir letztlich dazu bei, ihr allgemeines Wohlbefinden zu schützen und zu verbessern. Dies ist von entscheidender Bedeutung, um eine gesündere, ausgewogenere digitale Zukunft für alle Gemeinschaften, Gesellschaften und Länder zu gewährleisten."