WHO - World Health Organization Regional Office for Europe

05/21/2024 | Press release | Distributed by Public on 05/22/2024 01:16

Optimierung der Finanzierung der primären Gesundheitsversorgung in der Ukraine: Untersuchung der Anbieterkosten und der Folgen des Krieges

Die Anpassung der Vergütung für Leistungsanbieter in der primären Gesundheitsversorgung in der Ukraine, um den Bedürfnissen der Bevölkerung besser gerecht zu werden, und das Verständnis der Folgen des Krieges auf die Arbeit der Anbieter sind wesentliche Schritte zur Verbesserung von Qualität und Zugänglichkeit der Versorgung, wie zwei von WHO/Europa veröffentlichte Berichte zeigen.

Im Rahmen der Unterstützung für die laufenden Reformen der Gesundheitsfinanzierung in der Ukraine liefert der Bericht mit dem Titel "Ergebnisse einer Kostenkalkulation der Vergütung für Leistungsanbieter in der primären Gesundheitsversorgung in der Ukraine" eine umfassende Kostenanalyse, die wertvolle Erkenntnisse für die Neuberechnung und Anpassung der Vergütung für Anbieter der primären Gesundheitsversorgung liefert. Der zweite Bericht mit dem Titel "Auswirkungen des Konflikts auf die Kosten in der primären Gesundheitsversorgung und auf Investitionen in der Ukraine" befasst sich mit den Ergebnissen von Umfragen unter Leistungsanbietern, die dazu dienen sollen, die Folgen des Krieges auf die Anbieter der primären Gesundheitsversorgung im ganzen Land zu bewerten.

Die Berichte wurden auf einer Konferenz über primäre Gesundheitsversorgung am 15. und 16. Mai 2024 in Kiew vorgestellt, auf der über 500 Fachleute aus der primären Gesundheitsversorgung sowie Gesundheitsbehörden und internationale Partner ihr Wissen austauschten und die Zukunft der primären Gesundheitsversorgung während und nach dem Krieg planten. Konferenzteilnehmer und Anbieter der primären Gesundheitsversorgung hatten Gelegenheit, die Schlussfolgerungen der beiden Studien zu prüfen und darüber zu diskutieren, wie eine angemessene Finanzierung der primären Gesundheitsversorgung sichergestellt werden kann.

"Beide Berichte ermöglichten es den Anbietern der primären Gesundheitsversorgung, ihre Bedenken hinsichtlich des aktuellen Finanzierungssystems zu äußern, die Auswirkungen auf ihre Arbeit haben, und lieferten Anhaltspunkte für mögliche Änderungen bei der Leistungserbringung, um die Qualität der und den Zugang zur Versorgung zu verbessern", erläuterte Dr. Jarno Habicht, Repräsentant der WHO in der Ukraine.

Im Jahr 2018 leitete die Ukraine eine Reform der Gesundheitsfinanzierung ein, um den Zugang zur primären Gesundheitsversorgung für alle Einwohner der Ukraine zu verbessern. Die transformative Agenda umfasste mehrere Maßnahmen zur Reformierung der Leistungserbringung, wie die Gestaltung des Programms für medizinische Garantien, die Festlegung eines öffentlich finanzierten Leistungspakets und die Verbesserung der Autonomie und der Arbeitsbedingungen für Anbieter.

Infolge dieser Maßnahmen hatten sich bis Anfang 2022 insgesamt 33 Mio. Ukrainer bei einem Hausarzt registrieren lassen, und mehr als 2000 Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung hatten Verträge mit dem Nationalen Gesundheitsdienst der Ukraine (NHSU) unterzeichnet, um garantierte Leistungen anzubieten.

Analyse der Kosten für Anbieter der primären Gesundheitsversorgung

Die Verfeinerung der Vergütungsstruktur für Leistungsanbieter der primären Gesundheitsversorgung in der Ukraine ist zu einer Priorität geworden, um diese genau auf die mit der Deckung des Gesundheitsbedarfs der Bevölkerung verbundenen Kosten abzustimmen.

Der diesbezügliche Bericht enthält eine umfassende Kostenanalyse, die die Situation vor der groß angelegten Invasion widerspiegelt, sowie gut dokumentierte Annahmen und Szenarien für die Anpassung der Pauschalvergütung für Leistungsanbieter, d. h. der festen Vergütung pro Person, die ein Anbieter für die Erbringung von Gesundheitsleistungen erhält.

Der Bericht liefert Beiträge zur Validierung der aktuellen Pauschalvergütung und bietet ein Instrument zur Berechnung von Änderungen und zur Schätzung des Budgets für das Leistungspaket der primären Gesundheitsversorgung. Die Kostenanalysestudie wurde von einer Arbeitsgruppe unter Leitung des NHSU sorgfältig überwacht, der hochrangige Vertreter des Gesundheitsministeriums, des Finanzministeriums und lokaler Behörden angehörten.

Die Ergebnisse der Studie haben das Gesundheitsministerium veranlasst, eine neue Rechtsvorschrift einzuführen, die die evidenzbasierte Überarbeitung der Vergütungssätze für Leistungsanbieter regelt. Zudem wurde ein Verfahren eingeführt, anhand dessen der NHSU Kostenstudien durchführen und die Pauschalvergütung entsprechend festlegen kann.

"Die im Rahmen der Kostenstudie gesammelten Daten sind für die Verfeinerung der Vergütung für Leistungsanbieter der Primärversorgung von entscheidender Bedeutung. Darüber hinaus dient die Kostenstudie als strategisches Instrument für die Bewertung der haushaltsmäßigen Konsequenzen verschiedener Handlungsoptionen für das Jahr 2025 und darüber hinaus und enthält gleichzeitig Empfehlungen für die Regierung, wie die Vergütung der Anbieter besser definiert werden kann", fügte Natalia Husak, Leiterin des NHSU, hinzu.

Die Analyse kommt zu folgendem Schluss:
  • Die Mehrheit (61 %) der Zahlungen in der primären Gesundheitsversorgung deckt die Arbeitskosten ab, der Rest bezieht sich auf regulatorische Anforderungen wie die Verfügbarkeit von Geräten und diagnostische Leistungen.
  • Die derzeitige Vergütung deckt die Kosten für die Erbringung der im Leistungspaket für die primäre Gesundheitsversorgung genannten Leistungen nicht vollständig ab. Sie sollten zum Beispiel die Versorgungs- und Kapitalkosten berücksichtigen.
  • Der größte Teil der Versorgungs- und Kapitalkosten wird von den lokalen Regierungen getragen, private Anbieter hingegen haben keinen Zugang zu diesen Mitteln. Während einige Kommunalverwaltungen zusätzliche Mittel für die primäre Gesundheitsversorgung bereitstellen, tun andere dies möglicherweise nicht, da es an einem einheitlichen Ansatz und an Koordination mangelt.
  • Es gibt erhebliche Kostenunterschiede zwischen verschiedenen Anbietern und Regionen. Anbieter in ländlichen Gebieten haben höhere Kosten und suchen oft nach zusätzlichen Finanzierungsquellen.

Folgen des Krieges für die Leistungserbringung und Finanzierung im Bereich der primären Gesundheitsversorgung

Anfang 2023 wurde in Ergänzung zur Kostenanalyse eine Umfrage durchgeführt, um die Folgen des Konflikts auf Anbieter der primären Gesundheitsversorgung zu untersuchen. Der auf der Umfrage basierende Bericht liefert praktische Erkenntnisse, die die Reform der Gesundheitsfinanzierung unterstützen und dabei die sich entwickelnde Landschaft der primären Gesundheitsversorgung berücksichtigen, und stellt Optionen für die Verbesserung der Leistungserbringung inmitten der groß angelegten Invasion vor. Die Analyse zeigt u. a. die kritischen Unterbrechungen, die sich auf die Erbringung von Leistungen im Rahmen der primären Gesundheitsversorgung nach der Invasion 2022 auswirkenden Kosten und den aktuellen Bedarf der Anbieter auf.

Nach anfänglicher Unsicherheit gaben die meisten Anbieter der primären Gesundheitsversorgung an, dass es ihnen gelungen sei, ihre Situation bis zum Sommer 2022 zu stabilisieren.

"Die Patienten kamen zu uns, aber wir konnten nur begrenzt Hilfe leisten. Ohne Transportmittel oder Treibstoff war es eine große Herausforderung. Wir verteilten Medikamente an Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes. Um die Gehälter der Ärzte zu zahlen, waren wir darauf angewiesen, an der Grenze Roaming-Signale zu empfangen, um das Geld zu überweisen. Der Mangel an Ressourcen verursachte Chaos und Angst, was die Arbeit sehr erschwerte", erklärt ein in der primären Gesundheitsversorgung tätiger Arzt in der Region Tschernihiw.

Die wichtigsten Herausforderungen waren u. a. Folgende:
  • Die Bombardierung wichtiger Infrastrukturen führte zu massiven Stromausfällen im ganzen Land. Anbieter der primären Gesundheitsversorgung mussten auf alternative Stromquellen wie Generatoren umsteigen, die teuer sind und die Verfügbarkeit von Kraftstoff erfordern.
  • Die Vertreibung der Menschen und die Angst der Menschen, das Haus zu verlassen, führten zunächst zu einer Verlagerung der Angebote der primären Gesundheitsversorgung auf Fernkonsultationen. Als sich die Lage im Sommer 2022 stabilisierte, unterbrachen Raketenwarnungen und Stromausfälle weiterhin die Erbringung von Leistungen der primären Gesundheitsversorgung, was dazu führte, dass das Gesundheitspersonal regelmäßig gezwungen war, Räumlichkeiten verlassen oder seinen Dienst zu unterbrechen; daher werden Fernkonsultationen nach wie vor häufig genutzt.
  • Die Abwertung der Währung und Preissteigerungen führten zu einem Anstieg der Ausgaben für Anbieter der primären Gesundheitsversorgung. Einige Leistungsanbieter haben Unterstützung von Gebern und kommunalen Regierungen erhalten, andere haben ihre eigenen Reserven genutzt, um die gestiegenen Kosten zu decken.
  • Personalmangel und -wechsel waren weitere kritische Probleme, da viele Gesundheitsfachkräfte das Land verließen oder innerhalb des Landes vertrieben wurden. Diese Abwanderung führte zu einer weiteren Belastung der Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung, insbesondere in den vom Konflikt betroffenen Regionen, so dass viele Anbieter unterbesetzt sind und Schwierigkeiten haben, auf die Bedürfnisse der Patienten einzugehen.

Fachliche Hilfe bei und Finanzierung der Studie 

Die zwei Berichte "Auswirkungen des Konflikts auf die Kosten in der primären Gesundheitsversorgung und auf Investitionen in der Ukraine: eine Bestandsaufnahme der Folgen des Krieges" und "Ergebnisse einer Kostenkalkulation der Vergütung für Leistungsanbieter in der primären Gesundheitsversorgung in der Ukraine: fachlicher Bericht" wurden finanziell durch die Regierung Kanadas und den Gemeinsamen Fonds der Vereinten Nationen für die Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung unterstützt.