Am 19. November 2024 sind es 1000 Tage seit dem groß angelegten Einmarsch der Russischen Föderation in die Ukraine. Die Auswirkungen auf die Gesundheit der ukrainischen Bevölkerung und das staatliche Gesundheitssystem sind enorm. Der Krieg hat den Bedarf an Gesundheitsleistungen sprunghaft ansteigen lassen, insbesondere in Bereichen wie psychische Gesundheit, Traumaversorgung und nichtübertragbare Krankheiten, wo Millionen Menschen betroffen sind, die aufgrund anhaltender Kampfhandlungen und finanzieller Barrieren unter ständigen Angriffen, Verletzungen und einem eingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung leiden. Die ukrainischen Bürger sind einer erhöhten physischen und psychischen Belastung ausgesetzt, wodurch der Bedarf an leicht zugänglichen Leistungen in allen Bereichen der Gesundheitsversorgung steigt.
Da über 6 Millionen Ukrainer als Flüchtlinge das Land verlassen haben und weitere 3,5 Millionen Binnenvertriebene sind, hat sich der Mangel an Gesundheitspersonal insbesondere in Nähe der Frontlinien verschärft. Diese Engpässe betreffen Ärzte, Pflegekräfte, Hebammen und anderes wichtiges Personal, das in einem stark belasteten System von entscheidender Bedeutung für die Versorgung ist. Trotz der Herausforderungen haben die Beschäftigten im ukrainischen Gesundheitswesen eine bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit bewiesen und arbeiten unermüdlich daran, die Versorgung aufrechtzuerhalten und sowohl zum Wiederaufbau des Landes als auch zu den laufenden Gesundheitsreformen beizutragen.
Dieser Krieg ist nach wie vor die größte anhaltende Notlage in der Europäischen Region der WHO; bisher wurden 2134 Angriffe auf das Gesundheitswesen bestätigt (Stand: 18. November). Die WHO hat diese Angriffe mitverfolgt und darüber berichtet und dabei in diesem Jahr erneut einen besorgniserregenden Anstieg sowohl der Häufigkeit als auch der Schwere festgestellt.
Diese Angriffe haben schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung und haben zum tragischen Verlust von Beschäftigten des Gesundheitswesens geführt. Die höchsten Opferzahlen wurden zu Beginn des Krieges Anfang 2022 verzeichnet, wobei von Juli bis September dieses Jahres ein neuer Höchststand erreicht wurde. Allein im Jahr 2024 kam es bei 27 % der Angriffe auf das Gesundheitswesen zu Verletzungen und bei 8 % zu Todesfällen. Die Zahl der Verletzten und Todesfälle bei Gesundheitspersonal und Patienten infolge dieser Angriffe hat sich im Vergleich zum Vorjahr fast verdreifacht. So wurden in diesem Jahr nach 24 Fällen im Vorjahr 65 Todesfälle gemeldet, und die Zahl der Verletzten stieg von 132 im Jahr 2023 auf 377 in diesem Jahr.
Da die Ukraine vor einem dritten Kriegswinter steht, werden Angriffe auf das Gesundheitswesen und die öffentliche Infrastruktur zu zusätzlichen Problemen vor allem bei der Wärme-, Wasser- und Stromversorgung führen. Die WHO unterstützt die Bereitstellung einer ununterbrochenen Gesundheitsversorgung durch die Installation von leistungsfähigen Heiz- und Wasserversorgungssystemen.
Herausforderungen und Initiativen für das Gesundheitspersonal: Stärkung der Resilienz durch Humankapital
Die Widerstandsfähigkeit des Gesundheitssystems hängt stark von seinem Humankapital ab, d. h. den kollektiven Fähigkeiten, dem kollektiven Wissen und dem Engagement der medizinischen Fachkräfte im ganzen Land. Der Krieg hat äußerst negative Auswirkungen auf das Gesundheitspersonal in der Ukraine, insbesondere in ländlichen Gebieten, wo die Verfügbarkeit von Hausärzten, Pflegekräften und anderen medizinischen Fachkräften stark zurückgegangen ist. Es gibt einen besorgniserregenden Trend bei der Umsiedlung und Abwanderung von Angehörigen der Gesundheitsberufe in die Städte oder ins Ausland, aber auch einen starken Rückgang der Neuzugänge in den medizinischen Berufen, was die zukünftige Versorgung mit Fachkräften gefährdet.
Angesichts dieser Herausforderungen hat die WHO ihre Unterstützung für die Personalentwicklung ausgeweitet, indem sie die Bereiche Datenerhebung und Personalplanung verstärkt und dabei auf das Humankapital als wesentliches Element eines widerstandsfähigen Gesundheitssystems setzt.
Neben der Unterstützung dieses wichtigen Arbeitsbereichs bemüht sich die WHO um eine Stärkung des Pflegewesens in der Ukraine, da sie dessen entscheidende Rolle in der Gesundheitsversorgung erkannt hat. Die WHO hat die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten für Pflegekräfte und andere Gesundheitsfachkräfte erweitert und damit deren Beitrag anerkannt. Diese Bemühungen zielen darauf ab, den erwarteten Arbeitskräftemangel im Pflegebereich zu beheben und das Gesundheitssystem insgesamt zu stärken.
Unterstützung des Wiederaufbaus des Gesundheitssystems und der Stabilität der Gesellschaft mit Schwerpunkt auf der primären Gesundheitsversorgung
Die Unterstützung der WHO hat sich in diesem Jahr von der Nothilfe auf den Kapazitätsaufbau in kritischen Bereichen wie der Behandlung nichtübertragbarer Krankheiten, der psychischen Gesundheit, der antimikrobiellen Resistenzen sowie HIV, Tuberkulose und Infektionsbekämpfung verlagert. Darüber hinaus werden laufend Schulungen zur Traumabehandlung und zur Bewältigung von Ereignissen mit hohen Opferzahlen angeboten. Zu den Prioritäten gehört die Schwerpunktlegung auf die primäre Gesundheitsversorgung. Die WHO bemüht sich zusammen mit den ukrainischen Behörden darum, die Maßnahmen im Gesundheitsbereich zu stärken, Fachwissen auszutauschen und die Bemühungen um Wiederaufbau und Reformen auszuweiten.
Der Beitrag der WHO zum Wiederaufbau des ukrainischen Gesundheitswesens fügt sich in die nationalen Wiederaufbaubemühungen ein. Investitionen in widerstandsfähige Gesundheitseinrichtungen und kommunale Infrastruktur ermöglichen es den Bewohnern, in ihrer Region zu bleiben, und fördern so die Stabilität örtlicher Gemeinschaften. Die WHO hat in den stark betroffenen Regionen insgesamt 24 modulare Kliniken für die primäre Gesundheitsversorgung eingerichtet, die eine Mischung aus sofortigen und langfristigen Gesundheitslösungen anbieten.
Durch Unterstützung umfassenderer Gesundheitsreformen arbeitet die WHO mit der Ukraine an der Finanzierung von Verbesserungen, der Ausweitung der primären Gesundheitsversorgung, der Transparenz in der Beschaffung und der Ausweitung von Initiativen zur Behandlung nichtübertragbarer Krankheiten. Eine aktuelle Analyse zeigt, dass Reformen aus der Vorkriegszeit zusammen mit laufenden Bemühungen den Weg zu einem widerstandsfähigeren Gesundheitssystem ebnen.
Im Bereich der Gesundheitsfinanzierung leistet die WHO Unterstützungsarbeit durch Kapazitätsaufbau und strategische Planung, durch regelmäßige Überprüfungen und die Erstellung von Kostenmodellen mit Schwerpunkt auf der Finanzierung der primären Gesundheitsversorgung, der psychischen Gesundheitsversorgung und der medizinischen Rehabilitation. In enger Zusammenarbeit mit ukrainischen Politikern fördert die WHO datengestützte Entscheidungsprozesse und stimmt sich bei der Optimierung der Gesundheitspolitik mit ihren Entwicklungspartnern ab. Dazu gehört die Unterstützung bei der Einführung grundlegender Instrumente, die dem Nationalen Gesundheitsdienst der Ukraine bei der effektiven Auftragsvergabe an Gesundheitsdienstleister helfen sollen.
Der Weg der Ukraine zum Wiederaufbau ist ein einzigartiges Beispiel dafür, wie ein Land selbst im Angesicht eines Krieges Gesundheitsreformen und innovative Lösungen wie digitale Gesundheitssysteme und Notfallmaßnahmen umsetzen kann. Die WHO arbeitet auch mit der Europäischen Union zusammen, um den Zugang der Ukraine zum Frühwarn- und Reaktionssystem zu verbessern und so die Gesundheitssicherheit im Land zu optimieren.
Die Unterstützung der WHO für den langfristigen Wiederaufbau der Ukraine steht im Einklang mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung, wobei der Schwerpunkt auf dem Aufbau eines leistungs- und widerstandsfähigeren Gesundheitssystems liegt, das in der Lage ist, aktuelle und künftige Herausforderungen zu bewältigen.