Landkreis Darmstadt-Dieburg

07/16/2024 | Press release | Distributed by Public on 07/16/2024 07:31

Skepsis beim Landkreis: „Die Augenhöhe geht verloren“

Geplante Verschärfungen beim Bürgergeld

16.07.2024

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Im kommunalen Jobcenter des Landkreises Darmstadt-Dieburg herrscht Skepsis im Hinblick auf die geplante Verschärfung der Regeln für das Bürgergeld. Foto: ladadi

Schärfere Regeln sollen Bezieher von Bürgergeld schneller in Arbeit bringen. Dieses Vorhaben ist Bestandteil einer Wachstumsinitiative der Ampel-Koalition. Und obwohl sie noch nicht in Gesetze umgewandelt sind, gibt es bereits Kritik an den Plänen, auch innerhalb der Koalition. Der Landkreis Darmstadt-Dieburg mit seinem kommunalen Jobcenter, das für die Bürgergeldempfänger zuständig ist, steht dem Vorstoß skeptisch gegenüber. "Diese neuen Regeln konterkarieren den Geist des Bürgergelds", sagt Sozialdezernentin und Kreisbeigeordnete Christel Sprößler, denn schließlich sei es bei der Einführung der Grundsicherung zum 1. Januar 2023, die Hartz IV abgelöst hatte, darum gegangen, mehr Sicherheit, mehr Respekt und mehr Freiheit für ein selbstbestimmtes Leben für die Empfänger zu gewährleisten. "Die Idee, Menschen auf Augenhöhe nachhaltig in Arbeit zu bringen, geht verloren", so Sprößler.

"Politik nach Kassenlage" nennt es Roman Gebhardt, der Leiter des kommunalen Jobcenters. Denn mit den schärferen Regeln geht auch eine geplante Kürzung des Eingliederungs- und Verwaltungsbudgets für 2025 einher. "Das würde sich bei uns mit etwa 20 Prozent auswirken", sagt Gebhardt, "und dabei sollen wir immer mehr leisten als Jobcenter, mit immer höheren Fallzahlen, auch durch die ukrainischen Flüchtlinge. Das geht nicht."

Sprößler und Gebhardt sind sich einig, dass ein Rückfall in alte Zeiten, in denen eine Behörde den Menschen anordnete, was sie zu tun haben, nichts bringe. "Wir setzen derzeit auf aufsuchende Arbeit: Auf Augenhöhe mit den Menschen umzugehen, hat sich als viel zielführender herausgestellt", erklärt Gebhardt. Auf Anschreiben reagierten viele Bürgergeldbezieher nicht. "Also fahren wir raus und machen den Leuten klar: Wir meinen es ernst und gut mit euch." Auch mit den Regionalprojekten "Ich lebe und arbeite in…" hat das Jobcenter seit 2008 Erfolge in den Kreiskommunen erzielt. "Wir können nachweisen, dass Menschen nach drei bis vier Jahren noch dort sind, wo wir sie hin vermittelt haben", sagt Gebhardt. Ein nachhaltiger Erfolg. "Und nun soll dieser platte Ansatz kommen, in dem wir sagen, wo die Menschen einen Job antreten sollen: Das hält in der Regel nicht lange."

"So werden wir der Einzelfallbetrachtung auch nicht gerecht und gefährden den sozialen Frieden", sagt Sprößler. Dem Fachkräftemangel könne so kaum Abhilfe geschaffen werden, betont Gebhardt: "Wenn ich Leute, die ich irgendwo hin zwinge, wo sie nicht sein wollen, dann sind das keine Fachkräfte." Derzeit sei der Ansatz ein anderer: "Wir arbeiten darauf hin, dass die Menschen zu Fachkräften qualifiziert werden."

"Diese Oberflächlichkeit verwundert", sagt Gebhardt. So auch im Detail. Beispielsweise bei der Tagespendelgrenze, also der zumutbaren Zeit für Hin- und Rückweg zur Arbeit. Die soll auf drei Stunden angehoben werden. Derzeit sind es 2,5 Stunden. "Ist das überhaupt machbar für Menschen, die langzeitarbeitslos sind?", fragt Gebhardt. Wer eine zumutbare Arbeit ablehnt, soll mit Kürzungen des Bürgergelds sanktioniert werden: 30 Prozent weniger für drei Monate. "Alleine dadurch bewege ich niemanden zu einer Verhaltensänderung", sagt Gebhardt. Schon früher habe es Sanktionen gegeben, die aber kaum Wirkung gezeigt hätten. Die aufsuchende Arbeit sei erheblich wertvoller. Aber dafür bräuchten die Jobcenter mehr Ressourcen. Die bräuchte es wahrscheinlich auch, wenn die von der Ampel vorgeschlagene Meldepflicht einmal im Monat kommt. "Für so eine Kontaktdichte muss ich das Personal haben", sagt Gebhardt. Auch die vorgesehene Zuweisung von Ein-Euro-Jobs für Menschen, die Maßnahmen zur Integration in den Arbeitsmarkt verweigern, sieht der Jobcenter-Leiter kritisch. "Das ist eine Bestrafung, aber eine Arbeitsgelegenheit darf nie eine Bestrafung sein." Gespannt sind Sprößler und Gebhardt auch darauf, wer denn kontrollieren soll, ob ein Bürgergeldempfänger nebenbei schwarzarbeitet. "Das ist Aufgabe des Zolls, aber dort fehlt auch Personal. Also ist das nur schwer umzusetzen", sagt Gebhardt.

Insgesamt, so Sozialdezernentin Christel Sprößler, seien die Pläne der Ampel alles andere als niedrigschwellig: "Sie bauen Spannung auf, weil es gleich mit Sanktionen verbunden ist, wenn etwas nicht gemacht wird." Dass das den erhofften Erfolg für den Arbeitsmarkt bringe, sehe sie nicht.

tb

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