EMB - European Milk Board

09/19/2024 | News release | Archived content

EMB Pressinfo Neuer EU Agrarkommissar sollte beachten:

Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, hat ihre Kandidatenliste für die neue Kommission bekannt gegeben. Als neuen Agrarkommissar wünscht sie sich Christophe Hansen, der maßgeblich für die Umsetzung der Empfehlungen des Strategischen Dialogs zur Zukunft der EU-Landwirtschaft verantwortlich sein soll.

Wenn der Agrarsektor eines dringend braucht, dann sind es Veränderungen und Reformen. Das EMB begrüßt daher prinzipiell Initiativen, die darauf abzielen, den Agrarsektor konstruktiv umzugestalten. Im Fall des aktuellen Papiers des Strategischen Dialogs zur Zukunft der EU-Landwirtschaft [1], in dem Empfehlungen für den Agrarsektor gegeben werden, stellt das EMB fest, dass bedeutende Punkte angesprochen wurden, es jedoch noch an wichtigen Aspekten für eine erfolgreiche Sektor-Transformation insbesondere im sozialen Bereich fehlt. Dies sollte der neue EU-Agrarkommissar bei der Umsetzung der Empfehlungen des Dialogs unbedingt mit beachten. Im Folgenden werden diese Aspekte im Zusammenhang mit dem Abschnitt des Papiers "Part C: Recommendations" näher beleuchtet:

Zu Punkt 1.1) Eine faire und wettbewerbsfähige Wertschöpfungskette / A fair and competitive food value chain

Stärken der Erzeugerposition in der Wertschöpfungskette/ Strengthening farmers' position in the food value chain

Gleich eine der ersten Empfehlungen des Papiers adressiert die Notwendigkeit, die Erzeugerposition in der Kette zu stärken und greift damit ein essentiell wichtiges Thema auf. Das EMB möchte hier besonders auf folgende Unterpunkte aus der Zusammenfassung/ Executive Summary verweisen und präzisieren, was für ihre Erfüllung getan werden muss:

o Transparenz in der Nahrungsmittelkette erhöhen/ increase transparency in the food chain

Es ist wichtig, an der Schaffung von Transparenz entlang der gesamten Kette zu arbeiten. Die Produzentenebene hat hier schon sehr gut vorgelegt, da Kalkulationen der Produktionskosten schon weit vorangeschritten sind. Die anderen Ebenen müssen da unbedingt noch nachziehen und sollten von der politischen Seite dabei unterstützt bzw. auch verpflichtet werden. Als Vertreter der landwirtschaftlichen Erzeuger arbeitet das EMB seit vielen Jahren mit zuverlässigen Methoden der Kostenberechnung auf Produzentenebene und weiß, dass die Aktualität der Berechnungen dabei ein wichtiger Aspekt ist. Es gibt bereits sehr verlässliche Kostenberechnungsmethoden, die repräsentativ und international vergleichbar sind und ein sehr realitätsnahes Kostenbild zeichnen sowie aktuelle Ergebnisse liefern. Allerdings sind die von der EU verfügbaren Kalkulationen hier zeitlich noch zu weit hinterher und sollten in Bezug auf ihre Aktualität unbedingt verbessert werden. Prinzipiell ist neben der Aktualität ein weiterer Punkt essentiell für eine zuverlässige und gute Kostenberechnung: Es müssen die tatsächlichen Produktionskosten einschließlich eines angemessenen, gerechten Einkommens für die Erzeuger sowie die Kosten für erbrachte Mehrleistungen einfließen. Für den Milchsektor hat beispielsweise das Büro für Agrarsoziologie und Landwirtschaft (BAL) seit vielen Jahren eine bewährte und etablierte Kostenberechnung entwickelt, die den angesprochenen Anforderungen gerecht wird.

o Kooperation unterstützen / support cooperation

Das Dokument des Strategischen Dialogs erwähnt zudem, dass die Kooperation der Erzeuger untereinander verbessert werden sollte. Dazu empfiehlt das EMB, sich mit den Bedingungen der Erzeugerbündelung, d.h. der Verhandlung von Erzeugerorganisationen im Namen von mehreren Erzeugern gegenüber den Verarbeitern, zu beschäftigen. Diese Bedingungen sollten auf EU-Ebene verbessert werden, denn die Bündelung kommt in der EU nicht ausreichend voran. Es ist eine stärkere, effektive Förderung der Bündelung durch ein Anheben der Bündelungsgrenzen notwendig. So muss zum Beispiel den Milcherzeugern erlaubt sein, in angemessener Stärke zusammenzukommen, so dass sie genauso stark am Markt agieren können wie die Verarbeiter. EU-weit wäre ein möglicher Bündelungsgrad von 30 Prozent der EU-Menge notwendig und national sollte es gar keine Beschränkungen geben.

Bezüglich genossenschaftlicher Strukturen sei auf folgenden Aspekt dringend verwiesen: Aufgrund der immer größeren Distanz zwischen Genossenschaften und ihren Erzeugern - eine Entwicklung, die viele Genossenschaften durchlaufen haben und die dafür gesorgt hat, dass Erzeuger hier keine besseren Bedingungen vorfinden - muss das EMB vor falschen Rückschlüssen deutlich warnen. Es ist ein Fehler, das genossenschaftliche System per se als Lösung zu propagieren. Während es sicherlich im Interesse der Genossenschaften selbst liegt, sich als gewinnbringende Strukturen zu präsentieren und damit ihre Existenz zu rechtfertigen, haben die langjährigen Erfahrungen der LandwirtInnen gezeigt, dass die Mitgliedschaft in einer Genossenschaft aufgrund einer immer größer werdenden Diskrepanz zwischen den Interessen der produzierenden Erzeuger und denen der verarbeitenden Genossenschaft im Allgemeinen keine Verbesserung der Position der Erzeuger in der Kette bedeutet. Auch verhindert die bequeme Position, Verluste aus dem Management der Genossenschaft nach unten an die Mitglieder weitergeben zu können, eine per se effizientere Wirtschaftspraxis von Genossenschaften.

o Unfairen Handelsbedingungen besser entgegenwirken / better address unfair trading practices

Auf EU-Ebene existiert bereits eine Direktive, die dieses Thema adressiert. Diese ist jedoch unzureichend. Eine wichtige Verbesserungsmaßnahme wäre es, die Problematik von unfairen Preisen in die Direktive mit aufzunehmen bzw. auch an anderer Stelle eine Rechtsvorschrift dafür zu implementieren. Diese sollte dafür sorgen, dass auf Erzeugerebene der Vernichtung von Werten durch kostenunterdeckende Preise Einhalt geboten wird. Diese EU-Rechtsvorschrift muss folgende Schlüsselpunkte beinhalten:

  • bezüglich der Beziehung zwischen Erzeuger und Verarbeiter: Pflicht, dass die Preise höher als die Kosten sind.
  • Bezüglich der Beziehung zwischen Verarbeiter und Einzelhändler: Pflicht, dass die Preise nicht unter den Kosten liegen.
  • Für Handelsebene: die Verbraucherpreise dürfen nicht unter dem tatsächlichen Einkaufspreis des Produkts liegen.

Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit der Lebensmittelwertschöpfungskette / Competitiveness and sustainability of the food value chain

Das EMB begrüßt, dass der Strategische Dialog nachdrücklich empfiehlt, bei der Aushandlung von Verträgen Daten über Produktionskosten und Preise zu berücksichtigen sowie dass zusätzliche Kosten im Zusammenhang mit höheren Umwelt-, Arbeits- oder Tierschutzstandards Beachtung finden sollen. Auch der Verweis auf die Verwendung von Dreiparteien-Verträgen und dass die Landwirte für zusätzliche Anstrengungen und Investitionen im Zusammenhang mit der Nachhaltigkeit belohnt werden sollen, ist ein wichtiger Punkt. Das EMB betont in diesem Zusammenhang, dass alle Kosten der Produktion für den Erzeuger gedeckt sein müssen und zudem auch eine Gewinnmarge enthalten sein muss, um den Sektor wieder auf die Beine zu bringen. Zudem dürfen Nachhaltigkeitsanforderungen nicht am praktischen Leben vorbeigehen, sondern müssen praktikabel und umsetzbar sein sowie in Zusammenarbeit mit den Erzeugern erarbeitet werden.

Zu Punkt 1.3) Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) so gestalten, dass sie ihren Zweck erfüllt / Preparing a Common Agricultural Policy (CAP) fit for purpose

In Punkt 1.3 wird die Reform der GAP angesprochen. Das EMB weist folgenden Punkten und Möglichkeiten zur Reformverwirklichung in Bezug auf das Fördern von positiven Resultaten bei Umwelt, Sozialem und Tierwohl eine besondere Bedeutung zu:
Nur wenn mit positiven Anreizen gearbeitet wird und mindestens Kostendeckung für die Erzeuger besteht sowie die Maßnahmen praktikabel sind, können Umwelt- und Klimamaßnahmen erfolgreich sein. Daher muss - wie oben schon erwähnt - dafür gesorgt werden, dass die Kosten für Maßnahmen, die Erzeuger umsetzen, vom Preis mindestens gedeckt bzw. am besten mit einer Gewinnmarge für die Produzenten versehen sind. Das wurde in der Vergangenheit versäumt, so dass in der sowieso schon sehr angespannten finanziellen Erzeugersituation die Nachhaltigkeitsanforderungen den finanziellen Druck und die Defizite noch verstärkt haben. So aber kann keine erfolgreiche Strategie umgesetzt werden. Diese zusätzlichen großen Anforderungen können im Übrigen nicht aus dem aktuellen GAP-Budget finanziert werden. Es ist wichtig, über den Markt sowie, falls notwendig, über zusätzliche öffentliche Gelder für Kostendeckung bzw. die erforderlichen Gewinnmargen zu sorgen.

Zu Punkt 1.5) Förderung der globalen Transition / Promoting the global transition

Kohärenz zwischen Handelspolitik und Nachhaltigkeitsanforderungen / Coherence between trade policy and sustainability requirements

Bezüglich der Beziehung zwischen Handels- und Nachhaltigkeitspolitik wird im Papier eine größere Kohärenz gefordert. Das EMB unterstützt diese Forderung und verweist in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit von Spiegelklauseln, so dass importierte Produkte EU-Standards einhalten, sowie auf die Notwendigkeit, Agrarprodukte komplett aus Freihandelsabkommen herauszuhalten.

Zu Punkt 2.1) Eine gesunde und nachhaltige Wahl erleichtern/ Making the healthy and sustainable choice the easy one

Als Milcherzeugervertreter sieht das EMB die Forderungen im Bericht, die die Förderung einer pflanzenbasierten Produktion auf Kosten zurückgehender Tierprodukte postulieren, sehr kritisch. Milchprodukte beispielsweise spielen seit Jahrtausenden eine sehr wichtige Rolle in der Ernährung unserer Bevölkerung und der Milchproduktionszweig leistet zudem auch einen wichtigen positiven Beitrag im Umwelt- und Klimabereich. Somit wäre eine Reduzierung dieser Produktion auf mehreren Ebenen problematisch und für die EU nicht wünschenswert.

Zu Punkt 2.2) Förderung von nachhaltigen landwirtschaftlichen Praktiken / Enhancing sustainable farming practices

Wie oben bereits erwähnt, dürfen Maßnahmen und Strategien nicht weiter am Leben, Markt und an allgemeinen Entwicklungen vorbeigehen und müssen zudem die Erzeugersituation mit beachten. Es muss mit den realen Bedingungen in der Landwirtschaft sowie mit den Landwirten und nicht gegen sie gearbeitet werden. Das gilt beispielsweise auch bezüglich der in diesem Artikel erwähnten Unterstützung für den ökologischen Landbau. Hier ist die Notwendigkeit festzuhalten und dementsprechend ein Ansatz zu unterstützen, der dafür sorgt, dass das Angebot an Bio-Produkten auch mit einer dementsprechenden Nachfrage einhergeht. In der Vergangenheit konnten wir einen Anstieg der Bio-Produktion ohne gleichzeitig steigende Nachfrage beobachten. Dies führte zu einer Abwertung der Bio-Produkte und dem Ausstieg vieler Bio-Erzeuger aufgrund der fallenden Preise. Ein Ansatz, der lediglich auf den Anstieg des Bio-Angebotes abzielt, wird daher nicht ausreichend sein. Im Gegenteil, er kann aufgrund eines steigenden Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage dafür sorgen, dass etablierte Erzeuger den Bio-Sektor wieder verlassen müssen.

Zu Punkt 3.3) Robustes Risiko- und Krisenmanagement / Robust risk and crisis management

In diesem Bereich sprechen die Autoren des Papiers davon, dass der Agrarsektor robuste Instrumente zum Krisenmanagement benötigt, da das aktuelle Management nicht ausreichend, sondern ineffektiv ist. Speziell für den Milchsektor verweist das EMB auf das Marktverantwortungsprogramm als ein effektives Instrument, um den häufig auftretenden Überproduktions- und Preisverfallskrisen entgegen zu treten.


Zu Punkt 4.1) Zukünftige Generationen von LandwirtInnen unterstützen / Supporting future generations of farmers

Der Verweis im Papier ist richtig und wichtig: Insbesondere junge Erzeuger müssen wieder für den Sektor gewonnen werden. Hierfür unterstreicht das EMB DIE essentielle Grundbedingung einer profitablen Produktion: Die bisherigen starken finanziellen Defizite, die ein Erzeuger zu erwarten hat, schrecken die junge Generation ab. Das EMB verweist daher auf die Notwendigkeit von angemessenen Margen für die Produzenten, die nur über Preise erreicht werden können, die über den Erzeugungskosten liegen. Dafür ist es notwendig, den agrarpolitischen Rahmen mit Instrumenten wie der bereits bezüglich Punkt 1.1 erwähnten Rechtsvorschrift für Preise oberhalb von Kosten und den bezüglich Punkt 1.5 erwähnten Spiegelklauseln sowie dem oben beschriebenen Marktverantwortungsprogramm auszustatten.

Zu Punkt 5.5) Soziale Innovation als Wegbereiter für eine nachhaltige Landwirtschaft / Social Innovation as an enabler of sustainable farming

Das Papier des Strategischen Dialogs erwähnt soziale Innovationen, die von Basisinitiativen ins Leben gerufen werden, um Probleme im Sektor zu lösen und für die Hindernisse untersucht werden sollten. Als wichtige soziale Innovation im Agrarsektor möchte das EMB in diesem Zusammenhang das Faire Milch Projekt nennen, das von Landwirten in mehreren Ländern initiiert wurde, um das Einkommensproblem für die Produzenten zu lindern. Dieses Projekt hat zum Teil auch mit Hindernissen - z.B. rechtlicher Überregulierung - zu kämpfen, die von öffentlicher Seite aus dem Weg geräumt werden müssten. Zudem sollte diese wichtige soziale Innovation von der EU sowie den Mitgliedsländern öffentlich anerkannt und gefördert werden, um ihre positive Wirkung für den Sektor noch weiter auszubauen.

[1] https://agriculture.ec.europa.eu/document/download/171329ff-0f50-4fa5-946f-aea11032172e_en?filename=strategic-dialogue-report-2024_en.pdf