06/28/2024 | Press release | Archived content
EiÜ 25/24
Kündigungsschutzklagen durch Schwangere: Frist zu kurz - EuGH
In einem Urteil vom 27. Juni 2024 hat der EuGH in der Rechtssache C-284/23 auf eine Vorlagefrage des Arbeitsgerichts Mainz geantwortet und entschieden, dass die deutschen Regelungen der §§ 4, 5 KSchG zur Erhebung von Kündigungsschutzklagen durch Schwangere zu kurz und nicht mit der Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG vereinbar seien. Eine Pflegeheimangestellte hatte beim Arbeitsgericht Mainz Klage eingereicht, da sie zum Zeitpunkt ihrer Kündigung schwanger gewesen sei. Das Arbeitsgericht war der Auffassung, die Klage als verspätet abweisen zu müssen, da die nationale dreiwöchige Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts nach Zugang der schriftlichen Kündigung bereits verstrichen war. Die Arbeitnehmerin hatte es auch innerhalb der vorgesehenen weiteren zwei Wochen versäumt, einen Antrag auf Zulassung einer verspäteten Klage zu stellen. Der EuGH stellte fest, dass diese kurze zweiwöchige Frist einer schwangeren Arbeitnehmerin eine sachgerechte Beratung und damit einen möglichen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage und das Abfassen und Einreichen der eigentlichen Klage übermäßig erschwere. Der in Artikel 10 der Richtlinie vorgesehene besondere Kündigungsschutz müsse in Anbetracht der Gefahr für die physische und psychische Verfassung einer schwangeren Arbeitnehmerin gewahrt werden.
Verhandlungsposition zur Richtlinie über Europäische Betriebsräte - Rat
Am 20. Juni 2024 hat der Rat der EU seine allgemeine Ausrichtung zum Kommissionsvorschlag zur Änderung der Richtlinie über Europäische Betriebsräte (EBR) angenommen, vgl. PM. Ziel der Richtlinienänderung ist, EBR stärker einzubinden durch erleichterte Einrichtung, mehr Informations- und Anhörungspflichten für Unternehmen bei finalen, grenzüberschreitenden Angelegenheiten und die Gewährleistung ausreichender finanzieller Ressourcen (vgl. bereits EiÜ 14/23, 3/24). Die Position des Rates zielt darauf ab, die Richtlinie effizienter zu gestalten. Eine wesentliche Änderung ist die Präzisierung der "länderübergreifenden Angelegenheiten" zur Schaffung von mehr Rechtssicherheit (vgl. Erwägungsgrund 5). Zudem wird ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis in den EBR gefordert. Die neuen Bestimmungen zur Vertraulichkeit und Nichtübermittlung von Informationen, die das Unternehmen von einer Informationspflicht an den EBR befreien, wurden ebenfalls konkretisiert, um eine missbräuchliche Verwendung seitens des Arbeitgebers zu vermeiden. Sanktionsbestimmungen bei Richtlinienverstößen wurden gestrafft und Rechtsschutzmöglichkeiten der EBR gestärkt. Die Ratsposition betont die Notwendigkeit eines echten Dialogs zwischen Unternehmensleitung und Betriebsrat sowie die rechtzeitige und effektive Unterrichtung der Beschäftigten. Sobald das EU-Parlament sein Verhandlungsmandat angenommen hat, können die interinstitutionellen Trilogverhandlungen beginnen.
Wettbewerb zur Verteidigung bedrohter Rechtsanwält:innen - CCBE
Der jährlich stattfindende Amicus Curiae Contest des Rates der Europäischen Anwaltschaften (CCBE) gibt Jurastudierenden und Rechtsreferendar:innen die Möglichkeit, den menschenrechtlichen Einsatz für bedrohte Anwält:innen in Form eines Wettbewerbs zu erproben. Der Wettbewerb verfolgt unter anderem das Ziel, auf die besondere Bedeutung der Anwaltschaft für die Sicherung des Rechtsstaates aufmerksam zu machen. Die Teilnehmenden verfassen einen Amicus Curiae-Schriftsatz im Rahmen eines fiktiven Verfahrens zur Unterstützung eines bedrohten Anwalts oder einer bedrohten Anwältin. Die Bewerbung ist vom 1. September bis zum 30. November 2024 möglich. Weitere Informationen sowie den Link zur Weiterleitung an Interessierte finden Sie hier.
Alain Berset zum neuen Generalsekretär gewählt - Europarat
Am 25. Juni 2024 wurde der Schweizer Sozialdemokrat Alain Berset, der zuvor als Bundesrat und Bundespräsident in der Schweiz tätig war, von der Parlamentarischen Versammlung zum 15. Generalsekretär des Europarats gewählt (s. PM). Nachdem er im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit verfehlte, setzte Berset sich im zweiten Wahlgang, gegen den Esten Indrek Saar und den Belgier Didier Reynders durch. Als Generalsekretär wird Berset das Sekretariat des Europarats leiten, die Zusammenarbeit der Institutionen des Europarats koordinieren und den Europarat nach außen repräsentieren. Nach seiner Wahl benannte Berset den Medien gegenüber sowohl die Ukraine als auch den generellen Kampf für Menschenrechte und den Rechtsstaat als Prioritäten seiner Amtszeit. Am 18. September 2024 findet die Amtsübernahme von der Kroatin Marija Pejcinovic Buric statt.
UN-Sonderberichterstatterin zur Rolle der Community Justice Workers - UNSR
Die Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für die Unabhängigkeit von Richtern und Anwälten, Margaret Satterthwaite, hat ihren Bericht zur "Wahrung der Unabhängigkeit der Justizsysteme angesichts der aktuellen Herausforderungen für die Demokratie" dem UN-Menschenrechtsrat vorgelegt, abrufbar hier (auf Englisch). Darin geht sie auf den in vielen Staaten zu verzeichnenden Rückgang rechtsstaatlicher und demokratischer Strukturen ein und betont die Bedeutung von partizipativer Demokratie und Wahlen für deren Aufrechterhaltung. Anhand mehrerer Fallgruppen wird ferner aufgezeigt, welchen Hindernissen und Risiken die Angehörigen der Rechtsberufe bei ihrer Arbeit zur Verteidigung von Rechtsstaat und Menschenrechten ausgesetzt sind. Für die Berichterstatterin gehören zu den Akteuren des Justizsystems neben Richtern, Staatsanwälten und Anwälten auch "Community Justice Workers". Deren Aufgabe sieht sie darin, für Betroffene von Rechtsverletzungen (oftmals von Menschenrechtsverletzungen) unterstützend beim Zugang zum Recht tätig zu werden, indem Wege und Ressourcen für die Geltendmachung von Rechtsverletzungen aufgezeigt werden (vgl. zu den Vorschlägen der Berichterstatterin zur Stärkung der Rolle von Nicht-Anwälten bereits EiÜ 27/23).
Europäisches Semester: Hohe Regulierungsintensität der Anwaltschaft - KOM
Die EU-Kommission hat am 19. Juni 2024 das Frühlingspaket des "Europäischen Semesters 2024" einschließlich der 27 Länderberichte veröffentlicht (siehe PM). Das europäische Semester soll einen Rahmen für die wirtschafts-, haushalts- und sozialpolitische Koordinierung der Mitgliedstaaten geben (vgl. bereits EiÜ 20/23) und erstreckt sich auch auf die Umsetzung der Aufbau- und Resilienzfazilität in Hinsicht auf das Programm "NextGenerationEU ". Im Länderbericht zu Deutschland wird wie im Vorjahr darauf hingewiesen, dass trotz jüngster Reformen bezüglich multidisziplinärer Partnerschaften und Unternehmenseigentum in steuerlichen und juristischen Berufen, die Regulierungsintensität der Anwaltschaft im EU-Durchschnitt weiterhin hoch ist und Exklusivrechte im Rahmen des Angebots juristischer Dienstleistungen, u.a. Rechtsberatung erhalten bleiben. Es wird angemerkt, dass eine Verringerung restriktiver Regulierungen im Dienstleistungsbereich bei einer gleichzeitigen Wahrung hoher Qualitätsstandards und Verbraucherinteressen zu einer Steigerung von Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität führen würde. Nachdem die vorgelegten Leitlinien und Empfehlungen der EU-Kommission an die einzelnen Mitgliedstaaten durch den Europäischen Rat gebilligt werden, sollen sie durch die Mitgliedstaaten bei der Erstellung ihrer nationalen Haushaltspläne berücksichtigt werden.
Menschenrechtsverletzungen auf der Krim - EGMR
Die große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hat am 25. Juni 2024 Russland wegen massiver Menschenrechtsverletzungen auf der Halbinsel Krim verurteilt (Beschwerdenr. 20958/14 und 38334/18, auf Englisch). Willkürliche Verhaftungen, Zwangseinbürgerungen von Ukrainer:innen, Misshandlungen, Folter, Vertreibung und Verbote der Verwendung der ukrainischen Sprache sind einige der erfüllten Tatbestände. Die Annexion der Krim selbst stand nicht zur Verhandlung. Russland habe ein "Muster von Verletzungen der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK), eine Verwaltungspraxis von EMRK-Verstößen" erkennen lassen, so der Gerichtshof. Diese Verwaltungspraxis setzt voraus, dass zum einen wiederholte, mit der EMRK unvereinbare Handlungen begangen wurden, die so miteinander verbunden sind, dass sie ein Muster oder System von Rechtsverletzungen darstellen und durch staatliche Behörden offiziell geduldet wurden. Beide Voraussetzungen waren erfüllt. Unter anderem stellte der Gerichtshof Verletzungen des Rechs auf Leben (Art. 2 EMRK), des Folterverbots (Art. 3 EMRK), des Rechts auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5 EMRK) sowie des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK) fest. Das Urteil dürfte kaum Folgen haben, da Russland seit September 2022 kein Mitglied der EMRK mehr ist und bereits angekündigt hat, das Urteil nicht anzuerkennen.
Allgemeine Ausrichtung zur Durchsetzung der DSGVO beschlossen - Rat
Am 13. Juni 2024 hat der Rat der EU seine allgemeine Ausrichtung zur Verordnung über die Verfahren zur Durchsetzung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) angenommen (vgl. PM). Die EU-Kommission hatte im Juli 2023 einen Verordnungsvorschlag vorgelegt. Ziel ist, die Kooperation bei der Durchsetzung der DSGVO zwischen nationalen Datenschutzbehörden zu fördern und Verfahren zu beschleunigen, um in grenzüberschreitenden Fällen eine einheitliche Durchsetzung zu gewährleisten. Die neue Verordnung sieht einheitliche Zulässigkeitsvoraussetzungen für Beschwerden nach der DSGVO vor und vereinheitlicht Verfahrensfristen und -abläufe gemäß der Einschätzung des Europäischen Datenschutzausschusses (EDSA), in dem alle nationalen Datenschutzbehörden vertreten sind. Zudem wird die Nutzung von in der DSGVO angelegten Mechanismen zur gütlichen Streitbeilegung gestärkt. Schließlich soll die Anhörung des Beschwerdeführers bei Beschwerdeablehnung einfacher werden. Eine frühestmögliche Verfahrensbeteiligung des Schädigers, dem der Verstoß gegen die DSGVO vorgeworfen wird, ist ebenso vorgesehen. Im Weiteren wird der Rat der EU die Trilogverhandlungen mit dem EU-Parlament, das seinen Standpunkt zum Verordnungsvorschlag bereits im April 2024 angenommen hatte, beginnen können.