FDJP - Federal Department of Justice and Police of the Swiss Confederation

07/09/2024 | Press release | Distributed by Public on 07/09/2024 02:18

NKVF: Mangelnde Berücksichtigung der Kindesinteressen bei zwangsweisen Rückführungen auf dem Luftweg

Nationale Kommission zur Verhütung von Folter

Bern, 09.07.2024 - In ihrem heute veröffentlichten Bericht legt die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) ihre Beobachtungen und Empfehlungen zu den zwangsweisen Rückführungen auf dem Luftweg dar. Ein besonderes Augenmerk legt sie dabei auf den Vollzug zwangsweiser Rückführungen von Kindern und ihren Familien. Nach Ansicht der Kommission wird das übergeordnete Kindesinteresse im Rahmen von zwangsweisen Rückführungen teilweise ausser Acht gelassen.

Mangelnde Beachtung des übergeordneten Kindesinteresses

Die Kommission kommt zum Schluss, dass sich die Vollzugsbehörden sichtlich um das Wohlergehen von Kindern, insbesondere von Kleinkindern, bemühen. Trotzdem besteht nach Ansicht der NKVF die Gefahr, dass die nach der UNO-Kinderrechtskonvention vorrangig zu berücksichtigenden Kindesinteressen bei der Planung und Durchführung zwangsweiser Rückführungen vernachlässigt bzw. vergessen werden. Die Kommission stuft insbesondere die beobachteten Zwangsmassnahmen gegenüber Kindern als potentiell traumatisierend und unter Umständen als Gefährdung des übergeordneten Kindesinteresses ein, Zwangsmassnahmen gegenüber schwangeren und stillenden Frauen erachtet sie als erniedrigend und unmenschlich. Darüber hinaus kritisiert die Kommission die Fesselungen von Eltern in Anwesenheit ihrer Kinder, gestaffelte Ausschaffungen sowie die Trennung von Familien während einer zwangsweisen Rückführung, die Anhaltungen von Familien während der Nacht und den Beizug von Kindern für Übersetzungen zwischen den Vollzugsbehörden und ihren Eltern.

Die Kommission erachtet es als notwendig, die polizeilichen Begleitpersonen bezüglich der besonderen Rechte von Familien und Kindern im Rahmen einer zwangsweisen Rückführung sowie deren spezifischen Bedürfnisse zu schulen.

Unangemessene polizeiliche Praktiken

Obwohl der Umgang mit den von einer Rückführung betroffenen Personen insgesamt professionell und respektvoll war, erachtet die Kommission die wiederholte präventive Anwendung von Zwangsmassnahmen, wie bspw. von Hand und Fussfesseln oder dem sogenannten «Kerberos-Gurt», insbesondere während der Zuführung sowie den Wartezeiten am Flughafen als unverhältnismässig. In ihrem Bericht betont sie die Notwendigkeit, Fesselungen nur in Situationen anzuwenden, in welchen Personen ihre eigene Sicherheit oder jene anderer unmittelbar gefährden. Verschiedene Praktiken, die die Kommission bereits früher als kritisch oder unangemessen erachtet hat, hat sie von Januar bis Dezember 2023 erneut beobachtet.

Im Berichtszeitraum war der Informationsaustausch zwischen der NKVF und dem SEM, den kantonalen Polizeikorps, den kantonalen Migrationsbehörden sowie der für die medizinische Versorgung der zwangsweise rückzuführenden Personen zuständigen Oseara AG gut.

Zwangsmassnahmen gegenüber Personen in stationärer Behandlung und Personen mit psychischen Erkrankungen

Die Kommission kritisiert die von ihr beobachteten Anhaltungen von Personen in stationärer psychiatrischer Behandlung sowie die präventiven Fesselungen, die ausschliesslich aufgrund von psychiatrischen Diagnosen zur Anwendung gelangen. Neben der Anhaltung in einer Notfallstation wurden mehrere polizeiliche Zuführungen aus psychiatrischen Kliniken beobachtet. Aufgrund der potenziellen Gesundheitsrisiken hält die Kommission Anhaltungen von Personen in stationärer Behandlung für nicht verhältnismässig. Zwangsmassnahmen, die allein auf einer psychiatrischen Diagnose beruhen, werden von der Kommission darüber hinaus als stigmatisierend angesehen.

Der Bericht erscheint in deutscher Sprache. Eine Zusammenfassung auf Französisch und Italienisch liegt ebenfalls vor.

Von Januar bis Dezember 2023 hat die NKVF 49 zwangsweise Rückführungen auf dem Luftweg der Vollzugsstufe 4 (Sonderflüge) sowie 38 Zuführungen von zwangsweisen Rückführungen der Vollzugsstufen 2 und 3 beobachtet. Dabei hat sie die zwangsweisen Rückführungen von insgesamt 45 Familien mit 105 Kindern (davon 99 minderjährig) begleitet.

Adresse für Rückfragen

Livia Hadorn
Geschäftsführerin NKVF
+41 58 465 16 20
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Nationale Kommission zur Verhütung von Folter
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