Bundesland Niedersachsen

06/28/2024 | Press release | Distributed by Public on 06/28/2024 06:54

Kein Schmerzensgeld für Corona Maßnahme

OBERLANDESGERICHT BRAUNSCHWEIG - 25. Juni 2024

Eine Vielzahl von Bewohnerinnen und Bewohnern eines Wohnkomplexes in Göttingen fordern von der Stadt Göttingen Schmerzensgeld wegen Freiheitsentziehung und Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts. In der Corona-Pandemie untersagte ihnen die Stadt auf Grundlage einer Absonderungsverfügung sieben Tage, ihre Wohnung zu verlassen, um das Infektionsrisiko zu minimieren. Das Gebäude wurde zur Durchsetzung der Maßnahme zeitweise mit einem Bauzaun umstellt und durch die Polizei abgeriegelt. Hintergrund der Maßnahme war das Ergebnis einer zuvor durchgeführten Reihentestung, bei der mehr als 100 der 668 Bewohnerinnen und Bewohner positiv auf das Coronavirus Sars-CoV-2 getestet worden waren.

Ihren Antrag auf Schmerzensgeld begründeten die Bewohnerinnen und Bewohner insbesondere damit, dass sie aufgrund der rechtswidrigen Maßnahme in ihrer Fortbewegungsfreiheit beschränkt worden seien, Hunger und Schmerzen erlitten und sich wegen der Absperrung des Gebäudes gedemütigt und stigmatisiert gefühlt hätten.

Das Landgericht Göttingen hat im Februar 2024 in 40 Verfahren die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussichten abgelehnt.

Die dagegen gerichteten Beschwerden blieben ohne Erfolg: Der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig bestätigte die Entscheidungen des Landgerichts. Den antragstellenden Bewohnerinnen und Bewohnern stünde weder aufgrund der Absonderungsverfügung noch aufgrund der Absperrung des Gebäudes ein Anspruch auf Schmerzensgeld zu. Die Stadt habe die Absonderungsverfügung aus damaliger Sicht rechtmäßig zum Schutz der Bevölkerung erlassen. Es sei eine exponentielle Ausbreitung des Virus in dem Gebäude befürchtet worden. Die individuellen Interessen der Bewohnerinnen und Bewohner hätte daher hinter dem Schutz der Bevölkerung für Leib und Leben zurücktreten müssen.

Auch die Absperrung des Wohnkomplexes durch den Bauzaun und die Polizei führe - selbst wenn dies rechtswidrig erfolgt wäre - nicht zwangsläufig zu einem Anspruch auf Schmerzensgeld. Die Bewohnerinnen und Bewohner hätten ihre konkret erlittenen Beeinträchtigungen oder Schäden darlegen müssen. Dies ist den Bewohnerinnen und Bewohnern weder in dem Verfahren vor dem Landgericht noch in dem Beschwerdeverfahren gelungen.

Das Gebäude hätten sie schon wegen der Absonderungsverfügung nicht verlassen dürfen. Inwieweit sie durch die Absperrung weitergehend beeinträchtigt worden seien, hätten sie nicht vorgetragen. Auch hätten sie nicht ausreichend dargelegt, welche gesundheitlichen oder psychischen Beeinträchtigungen sie durch das Vorgehen der Stadt im jeweiligen konkreten Einzelfall erlitten hätten.

Hintergrund

Die Entscheidungen des Oberlandesgerichts betreffen ausschließlich Beschwerden gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfeanträge.

Kann eine Partei die Kosten für das Gericht und - sofern erforderlich - für einen Rechtsanwalt nicht selber aufbringen, hat sie die Möglichkeit, Prozesskostenhilfe in Anspruch zu nehmen, um ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen oder zu verteidigen. Damit soll gewährleistet werden, dass alle Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen Zugang zum Recht erhalten.

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ergeben sich für zivilrechtliche Streitigkeiten aus den §§ 114, 115 der Zivilprozessordnung. Neben der Bedürftigkeit der Partei setzt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe danach voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und die Partei - sofern sie die Kosten selber tragen müsste - nicht von dem Prozess absehen würde (fehlende Mutwilligkeit). Die hinreichende Erfolgsaussicht nimmt das Gericht an, wenn es den Rechtsstandpunkt der Partei auf Grund deren Darstellung und auf Grundlagen von Unterlagen auch ggfs. unter Berücksichtigung des Vorbringens der Gegenpartei im Zeitpunkt für vertretbar erachtet.

Wird die Prozesskostenhilfe - wie in den vorliegenden Verfahren - abgelehnt, muss die Klägerpartei, die ihre Klage von der Bewilligung abhängig gemacht hat, nun entscheiden, ob sie die Klage auf eigene Kosten weiterverfolgen will.