Westfälische Wilhelms-Universität Münster

06/21/2024 | Press release | Distributed by Public on 06/21/2024 03:05

„Bei fünf Grad mehr waren alle Männchen steril“

Männliche Fruchtfliegen werden steril, wenn die Temperaturen während ihrer Entwicklung zu hoch sind. © Studiotouch - stock.adobe.com

"Bei fünf Grad mehr waren alle Männchen steril"

Dr. Berta Canal untersuchte in ihrer Doktorarbeit die Auswirkungen von Hitze auf die Fortpflanzungsfähigkeit von Taufliegen
Berta Canal ist mittlerweile Postdoktorandin an der Universität Lausanne in der Schweiz. © privat In ihrer Doktorarbeit am Institut für Evolution und Biodiversität (IEB) der Universität Münster hat Dr. Berta Canal erforscht, welche Auswirkungen Hitzestress auf die Fortpflanzungsfähigkeit von Taufliegen hat. Die Ergebnisse können Rückschlüsse auf mögliche Folgen des Klimawandels für den Fortbestand von Insektenpopulationen geben und auch helfen, hitzebedingte Fortpflanzungsprobleme bei anderen Tierarten zu verstehen. Im Interview mit Christina Hoppenbrock gab die Biologin Einblicke in ihre Arbeit.

Sie haben Taufliegen untersucht. Fliegen bekommen doch eigentlich immer genug Nachkommen, heißt es. Sind kleine Temperaturerhöhungen wirklich so ein Problem für diese Tiere?

Ja. Ein geringer Temperaturanstieg kann für sie schwerwiegende Folgen haben, da sich die Männchen nicht mehr fortpflanzen können, wenn die Temperatur nicht wieder gesenkt wird. Ich habe beobachtet, dass etwa die Hälfte der männlichen Fliegen steril wird, wenn die Temperaturen während ihrer Entwicklung nur vier Grad über der optimalen Temperatur von 25 Grad Celsius liegt. Bei fünf Grad mehr waren alle Männchen steril. Auch wenn sich die Weibchen bei diesen Temperaturen noch fortpflanzen können, ist eine Fortpflanzung ohne fertile Männchen nicht mehr möglich. Das gefährdet den Fortbestand der Population.

Was passiert im Körper der Fliegen, wenn die Umgebungstemperatur höher ist?

Fortpflanzungsorgane wie die Hoden und die akzessorischen Drüsen, also die beiden wichtigsten Gewebe, die an der Produktion von Spermien und den für die Fortpflanzung notwendigen Proteinen der Samenflüssigkeit beteiligt sind, werden bei Hitzestress geschädigt. Ich habe auch gesehen, dass sich die Funktionalität der Fortpflanzungsorgane während der Erholung im optimalen Temperaturbereich nicht vollständig regeneriert. Meine Messungen stimmen mit früheren Beobachtungen von Fruchtbarkeitsverlusten überein, da es möglich ist, die Fruchtbarkeit wiederherzustellen, wenn die Temperatur gesenkt wird, jedoch nicht vollständig. Selbst nach mehreren Tagen der Erholung waren die Fliegen weniger fruchtbar und produzierten weniger Nachkommen.

Sie haben in Ihrer Arbeit die Methode der experimentellen Evolution angewandt. Was ist das?

Die experimentelle Evolution ermöglicht es, evolutionäre Antworten auf sich ändernde Umweltbedingungen in Echtzeit im Labor zu messen. Ich habe die Fliegen über mehrere Generationen hinweg bei wärmeren Temperaturen gehalten und ihre Leistungsfähigkeit bei Hitzestress untersucht. Dabei habe ich verschiedene Merkmale in den Blick genommen, mit dem Schwerpunkt Fortpflanzung, um festzustellen, ob eine langfristige Exposition gegenüber warmen Temperaturen zu einer Anpassung führt.

Welche Folgen wird der Klimawandel für wild lebende Taufliegen haben?

Das ist schwer zu sagen - wie viele andere Arten auch könnten Taufliegen unterschiedlich auf den erwarteten Temperaturanstieg und die zunehmende Häufigkeit von Hitzewellen reagieren. Wenn sich die Fliegen an wärmere Temperaturen anpassen können, sind sie in der Lage, in der neuen Umgebung zu überleben. Im schlimmsten Fall, wenn sie nicht in der Lage sind, sich anzupassen oder sich in einem anderen geeigneten Lebensraum auszubreiten, könnten einige Populationen einen erheblichen Rückgang erleben und schließlich aussterben.

Und welche Rückschlüsse auf andere Tierarten ziehen Sie aus ihrer Arbeit?

Diese Ergebnisse sind nützlich, um auf Hitzestressschäden bei anderen wechselwarmen Arten zu schließen. Die in meiner Studie getesteten Temperaturen werden an vielen Orten weltweit im Sommer leicht erreicht. Meine Arbeit trägt dazu bei, die Reaktionen der Organismen auf den Klimawandel besser zu verstehen. Außerdem helfen die Ergebnisse, Vorhersagen über die Auswirkungen des Klimawandels zu verbessern - Auswirkungen auf die geografischen Verbreitungsgebiete der Arten, die sich durch Temperaturänderungen verschieben können, und auf das Potenzial der Arten, unter Hitzestress zu überleben. Die Erkenntnisse, insbesondere aus den Untersuchungen auf zellulärer Ebene, könnten auch für das Verständnis hitzebedingter Fortpflanzungsprobleme bei Säugetieren interessant sein.

Eine weibliche (l.) und eine männliche Taufliege (Drosophila). Die Fortpflanzungsorgane der Männchen werden bei Hitzestress geschädigt. © Berta CanalWelche Erkenntnis aus Ihrer Arbeit finden Sie besonders spannend?

… die Ergebnisse der experimentellen Evolutionsstudie, denn sie haben die Komplexität der Evolutionsprozesse verdeutlicht: Die Evolution von Merkmalen, die an der Fortpflanzung beteiligt sind, wird von mehreren Faktoren und deren Wechselwirkung beeinflusst. Im Zusammenhang mit der thermischen Anpassung beispielsweise hängen die Evolutionsprozesse nicht nur vom Temperaturanstieg ab, sondern auch von den thermischen Schwankungen, denen ein Individuum oder eine Population im Laufe der Zeit ausgesetzt ist.

Die Umweltbedingungen in gemäßigten Gebieten mit großen Temperaturschwankungen unterscheiden sich von denen in tropischen Lebensräumen. Ich würde entsprechend unterschiedliche Fortpflanzungsergebnisse und evolutionäre Reaktionen erwarten. Arten aus Gebieten mit starken jahreszeitlichen Schwankungen könnten sich besser an Temperaturänderungen anpassen als Arten, die unter konstanteren und stabileren Bedingungen leben, wie zum Beispiel in den Tropen.

Die Dissertation von Berta Canal wurde von Dr. Claudia Fricke (vormals IEB, inzwischen Professorin für Tierökologie an der Universität Halle), Prof. Dr. Stefan Schlatt (Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie, Universität Münster) und Prof. Dr. Klaus Reinhardt (Angewandte Zoologie, Technische Universität Dresden) betreut. Berta Canal ist mittlerweile Postdoktorandin an der Universität Lausanne in der Schweiz.

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