German Federal Chancellor

06/28/2024 | Press release | Distributed by Public on 06/28/2024 04:37

„Ein guter Tag für Europa“

Bundeskanzler Olaf Scholz hat die zügigen und konstruktiven Beratungen des zurückliegenden Europäischen Rates gelobt. Es sei eine Hängepartie vermieden und die "notwendigen Weichenstellungen" für die Arbeit der neuen Legislaturperiode der -Insititutionen getroffen worden. Der Kanzler fasste die wichtigsten Punkte und Entscheidungen zusammen:

  • -Personal: Nach den Europawahlen hat sich der Europäische Rat auf die Besetzung der wichtigsten Ämter innerhalb der Institution geeinigt. Der portugiesische Politiker António Costa wurde zum Präsidenten des Europäischen Rates gewählt. Die bisherige Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, wurde für eine zweite Amtszeit nominiert. Die momentane Premierministerin von Estland, Kaja Kallas, wurde vom Europäischen Rat zur Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik ernannt.
  • Ukraine: In Anwesenheit des ukrainischen Präsidenten Selenskyj wurde ein Sicherheitsabkommen mit der unterzeichnet. Außerdem wurde über Initiativen der Mitgliedstaaten betreffend Munition und Flugkörper sowie über Unterstützung im Rahmen der Europäischen Friedensfazilität beraten. Auch die begonnenen -Beitrittsgespräche mit der Ukraine waren Thema.
  • Naher Osten: Erneut appellierte der Europäische Rat für eine sofortige und dauerhafte Waffenruhe sowie die bedingungslose Freilassung von Geiseln durch die Hamas. Hierbei steht die hinter dem Vorschlag von -Präsident Biden zum Waffenstillstand und der Geiselfreilassung.
  • Verteidung: Europa müsse bei Entwicklung und Produktion von Militärgütern Kräfte und Ressourcen auf den eigenen Kontinent fokussieren. Hierbei sollen Möglichkeiten entwickelt werden, Rüstung als klassische nationale Aufgaben der Mitgliedstaaten, über Töpfe der zu finanzieren. Gemeinsame europäische Verteidigungsinitiativen wie die European Sky ShieldInitiative können nur ein Anfang sein.

Lesen Sie hier die Mitschrift des Statements

Bundeskanzler Scholz: Ja, guten Abend, auch von meiner Seite aus. Es ist sehr gut, dass wir jetzt sehr schnell sehr richtungsweisende Entscheidungen getroffen haben, kaum dass die europäischen Wahlen zu Ende gewesen sind. Es hat sich vermeiden lassen, dass es eine wochen- und monatelange Hängepartie gibt, sondern es sind sehr klar die notwendigen Weichenstellungen getroffen worden, die für die kommende Legislaturperiode des Europäischen Parlaments, aber auch der Institutionen und deren Arbeit wichtig sind.

Wir haben uns entschieden, dass das Spitzenpersonal neu besetzt wird. Sie haben mitbekommen, dass Ursula von der Leyen erneut Kommissionspräsidentin werden soll, dass Antonio Costa Präsident des Europäischen Rates wird und Kaya Kallas die hohe Beauftragte. Das sind gute Personen, die gute Arbeit garantieren und die auch dafür sorgen werden, dass Europa in den nächsten Jahren in ganz herausfordernden Zeiten gut aufgestellt ist. Und insofern freue ich mich auch, dass es ganz anders als das letzte Mal hier doch relativ zügig gegangen ist.

Gleichzeitig kann sich das, was hier im Rat als Konsens unter den 27 Staaten zustande gekommen ist, wenn auch nicht ganz einstimmig, aber doch mit überwiegender Unterstützung, auch auf eine politische Plattform im Parlament stützen, weil die drei Parteien, die diese Plattform auch in den letzten Jahren ausgemacht haben, die Parteifamilien die konservative, die sozialdemokratische und die liberale, die Kandidatur von Frau von der Leyen auch unterstützen werden. Und insofern kann man davon ausgehen, dass wir hier eine gute Entscheidung vorbereitet und hier getroffen haben. Und dass das jetzt auch schnell vorangeht mit unserer Europäischen Union. Sie ist herausgefordert, wegen der vielen Veränderungen, die in der Welt stattfinden.

Aber auch herausgefordert, wegen des großen Krieges, den Russland gegen die Ukraine angezettelt hat. Deshalb war es für mich etwas ganz Besonderes, dass der ukrainische Präsident hier mit uns gemeinsam getagt und gesprochen hat, dass wir seine Situation und die Lage seines Landes erörtern, aber dass wir auch eine Sicherheitsvereinbarung zwischen der Europäischen Union und der Ukraine unterzeichnen konnten. Das ist aus meiner Sicht ein wichtiger Schritt, nachdem die ersten Sicherheitsvereinbarungen von europäischen Staaten getroffen wurden, wie Großbritannien, Deutschland, Frankreich und in vielen, vielen weiteren. Das ist eben jetzt auch die ganze Europäische Union, die eine entsprechende Verständigung mit der Ukraine gefunden hat. Auch ein Zeichen der Ermutigung für die Ukrainerinnen und Ukrainer. Und auch ein Zeichen an den russischen Präsidenten, dass er nicht damit rechnen darf, dass er diesen Krieg einfach durch ständiges Weiterbetreiben aussitzen kann und die Unterstützung der Ukraine nachlässt. Und es ist im Übrigen auch für mich wichtig, denn es passt zu den Entscheidungen, die wir in letzter Zeit getroffen haben.

Ich erinnere an den -Gipfel in Apulien, da haben wir ein 50 Milliarden Dollar Paket zur Unterstützung der Ukraine auf den Weg gebracht. Was die gleiche Wirkung hat wie das, was heute hier gelungen ist. Und ich glaube, dass das auch für die Zukunft, für die zukünftige Arbeit von größter Bedeutung bleiben wird. Wir hatten vor Kurzem in der Wiederaufbaukonferenz in Berlin auch den Versuch unternommen, Frieden auf dem europäischen Kontinent auch dadurch zu erleichtern, dass wir uns mit vielen in der Welt getroffen haben, in Bürgenstock in der Schweiz, um die Möglichkeiten eines Friedens unter verschiedenen Aspekten, die humanitärer Bedeutung haben, zu erörtern. Daraus muss jetzt mehr gemacht werden.

Ansonsten haben wir uns bei dieser Gelegenheit natürlich auch mit dem anderen großen Konflikt beschäftigt, der in unserer weiteren Nähe stattfindet, im Nahen Osten, nach dem furchtbaren Angriff der Hamas auf israelische Bürgerinnen und Bürger und dem jetzt andauernden Krieg. Wir unterstützen das, was auch der amerikanische Präsident als Deal für einen Waffenstillstand und Geiselfreilassung auf den Weg gebracht hat und hoffen, dass es möglich ist, diese Dinge auch voranzubringen. Große Sorge bereitet uns allen die weitere Ausweitung des Konfliktes, zum Beispiel an der israelischen Nordgrenze und natürlich immer auch die humanitäre Situation in Gaza. Wir müssen zusammenarbeiten, wenn es um unsere Verteidigung geht. Das hat in den verschiedenen Themen, die wir verhandelt haben, immer eine große Rolle gespielt. Da geht es auch um die transatlantische Lastenteilung und da geht es darum, dass wir die europäische Verteidigungsindustrie stärken und ihre Fähigkeiten ausbauen. Auch das ist ein großes Thema für diesen Rat gewesen. Soweit vielleicht zum Auftakt von mir.

Ich glaube, es war ein großer Erfolg und die Tatsache, dass wir nicht wie geplant zwei Tage dafür gebraucht haben, sondern gleich am ersten Tag fertig geworden sind, unterstreicht das aus meiner Sicht. Es ist im Übrigen auch ein großer Unterschied zu früheren Versuchen, schnell zu einer Verständigung zu kommen. Dieses Mal ist es gelungen.

Lesen Sie hier die Mitschrift der Pressekonferenz

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben hier heute Abend gemeinsam mit Frankreich dafür geworben, dass aus der strategischen Agenda eine Formulierung gestrichen wird, die besagte, dass die Europäische Union schon gemeinsame Leuchtturmprojekte und Verteidigungsinitiativen von gemeinsamem Interesse voranbringen soll.

Können Sie bitte erläutern, warum Sie sich daran stören und uns erklären, was Sie von dem baltisch-polnischen Vorstoß zu einer gemeinsam finanzierten militärischen Grenzbefestigung halten?

Bundeskanzler Scholz: Ganz klar: Verteidigung ist Sache der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die Europäische Union selber kann dabei unterstützen, industrielle Prozesse voranzubringen und kann bei Forschung und Entwicklung etwas tun. Aber sie ist bisher auch nach den Verträgen ausgeschlossener Weise nicht dazu da, z.B. die Rüstung zu finanzieren. Das soll auch nicht so werden. Natürlich kann man angesichts der Herausforderungen, vor denen wir alle stehen, verstehen und nachvollziehen, dass jetzt Konzepte entwickelt werden, die darauf hinauslaufen, eine Refinanzierung von nationalen Rüstungsanstrengungen über europäische Finanzkanäle zustande zu bringen. Aber das ist eben nicht die Aufgabe der Europäischen Union, sondern der Mitgliedsstaaten der Nato. Europa selbst hat viele Aufgaben, die in diesem Zusammenhang wichtig sind, z.B. so etwas wie die große Europäische Luftverteidigungsinitiative, die European Sky Shield Initiative, die wir auf den Weg gebracht haben, wo sehr viele europäische Mitgliedstaaten schon mit der gemeinsamen Beschaffung dabei sind. Auch die gemeinsame Entwicklung bestimmter Waffen, wie wir das in verschiedenen Kooperationen mit Frankreich und anderen Ländern tun und so wie andere das auch machen, das alles ist notwendig. Da kann auch immer mal die Europäische Union eine Rolle spielen. Aber ich verstehe Ihre Frage so, dass Sie die Intentionen da ein bisschen anders verstanden haben.

Es ist die Frage: Ist das eine Refinanzierung über die Europäische Union aus den Mitteln der Europäischen Union für das, was wir an Verteidigungsanstrengungen national vorzunehmen haben? Das war bisher nicht möglich und wird es sicherlich in dem Rahmen der Verträge, die wir haben, auch zukünftig nichtig sein. Das zwei-Prozent-Ziel, das wir zum Beispiel alle gemeinsam für die Nato anstreben, das werden wir selber zustande bringen müssen.

Nachfrage akustisch unverständlich

Bundeskanzler Scholz: Die ist ja letztendlich darauf ausgerichtet, dass man einen besseren Grenzschutz voranbringt. Den gibt es mit Frontex und anderen Aktivitäten, wenn es um den unmittelbaren Grenzschutz geht. Und zur Verteidigung habe ich alles gesagt.

Damit es nicht verloren geht: Deutschland hat sich entschieden, sehr große Aufgaben zu übernehmen im Rahmen der östlichen Strukturen der Nato, einschließlich der Etablierung einer Brigade in Litauen. Das ist ja vielleicht auch eine schon längst gegebene Antwort auf die Frage, wie wir gemeinsam Verantwortung als Nato übernehmen.

Frage: Herr Bundeskanzler, rechnen Sie tatsächlich damit, dass Frau von der Leyen im Parlament jetzt die volle Unterstützung der großen Parteienfamilien bekommt?

Und wenn Sie erlauben, noch: Sie haben vor der -Wahl mehrfach davor gewarnt, mit rechtspopulistischen Parteien zusammenzuarbeiten. Zählen Sie Frau Meloni zu den rechtspopulistischen Politikern, mit denen man nicht zusammenarbeiten sollte?

Bundeskanzler Scholz: Ich habe vor der Wahl sehr klar gesagt, dass sich die Kommissionspräsidentin auf die klassischen demokratischen Parteien stützen soll, insbesondere auf die Plattform, die bisher auch sie gestützt hat. Das heißt, die Europäische Volkspartei, die sozialdemokratische Partei und Renew. Da gibt es auch andere, die ganz gut dazu passen und wo es dann auch welche geben wird, die das sicherlich unterstützen. Vielleicht bei den Grünen, das ist zumindest teilweise zu erwarten. Auch anderswo wird es Unterstützung geben von Kräften, die nicht in dieser Parteienfamilie sind. Aber das, was die Basis der Unterstützung von Frau von der Leyen im Parlament ist und worüber eine Verständigung erzielt wurde, sind diese drei Parteien.

Und ja, ich bin fest davon überzeugt, dass es gut ist, wenn Parteien, die in rechtspopulistischen Parteienfamilien sind, nicht die Basis dieser Unterstützung im Parlament sind.

Frage: Herr Bundeskanzler, Viktor Orban hat dreimal mit Nein gestimmt, gegen alle drei Kandidaten. Und die vielleicht kurzfristige Hoffnung, hier könnte sich mit Orban in SachenEuropean Peace Facilitynoch etwas bewegen, hat sich auch nicht realisiert. Was denken Sie, wirft das für einen Blick auf die jetzt beginnende ungarische Präsidentschaft?

Bundeskanzler Scholz: Zunächst einmal ist der heutige Tag ein Zeichen der Einheit der Europäischen Union. Sie hat in kurzer Frist entschieden und gehandelt. Und da ja oft gesagt wird, das genau könne nicht geschehen, ist das ein gutes Zeichen, ein guter Moment und ein guter Tag für Europa.

Ansonsten ist es ja in Europa so, dass im Europäischen Rat die 27 Staaten zusammenarbeiten und die Ratspräsidentschaft wechselt. Ich gehe davon aus, dass die ungarische Ratspräsidentschaft sich bemühen wird, konstruktiv die Geschicke Europas voranzutreiben. Und nun werden wir sehen.

Frage: Ja, vielen Dank. Herr Bundeskanzler, ich würde noch mal gerne an die Frage der Kolleginnen anschließen, weil bei Ihrer Antwort noch nicht ganz klar war, ob jetzt eine Unterstützung mit den Stimmen der fratelli d'italia für Sie in Ordnung wäre. Ja oder nein? Vielleicht können Sie das noch mal ganz klar sagen.

Wenn Sie dazu erlauben, noch eine Frage: Die Außenpolitik war ja auch Thema. Es gibt jetzt in der Regierung doch etwas Verstimmung über das Datenschutzabkommen, was Ihr Verkehrsminister und Digitalminister Volker Wissing in China abgeschlossen hat. Da gibt es Kritik sowohl aus verschiedenen Ressorts als auch von Politikern im Bundestag. Der digitalpolitische Sprecher Ihrer Partei hat den Minister als eine "loose cannon" bezeichnet und da gibt es sehr viel Kritik. Deswegen würde ich gern einmal hören, da wir auch diese China-Strategie haben, ob Sie das, was da alles so abgeschlossen ist, im Einklang damit sehen und wie Sie die Reise beurteilen und die Kritik dazu. Vielen Dank.

Bundeskanzler Scholz: Zunächst mal habe ich mich sehr klar geäußert. Man muss das vielleicht der Uhrzeit zurechnen, dass Sie das nicht richtig mitbekommen haben.

Noch einmal: Es ist so, dass wir eine klare Plattform haben, die sich darauf verständigt hat, dass sie die Kommissionspräsidentin im Parlament unterstützen will. Und es gibt keine Verhandlung mit anderen darüber, ob sie im Parlament die auch unterstützen werden, die nicht in das Raster dieser Parteienfamilie passen. Und da gibt es nichts, das habe ich auch nicht gesehen. Und alle haben miteinander vereinbart, dass es diese Zusammenarbeit gibt. Darum haben wir uns auch schnell zusammengesetzt und eine solche Verständigung gefunden. Es ging ja darum auszuloten, ob die Mehrheit aus europäischer Volkspartei, aus Sozialdemokraten und Renew, die unverändert existiert, erneut bereit ist, die Kommissionspräsidentin und die anderen Funktionen, die dann noch nachfolgen, zu unterstützen. Und die Antwort darauf lautet ja. Und natürlich heißt das, man guckt nicht ins Parlament und verhandelt dann mit denjenigen, mit denen man gerade nicht im Parlament eine Mehrheit bilden will.

Nachfrage akustisch unverständlich

Bundeskanzler Scholz: Ich bin ganz zuversichtlich. Die Präsidentin hat ja doch einen ganz guten Ruf im Parlament.

Wir haben eine China-Strategie und wir handeln als Regierung immer entlang unserer gemeinsamen Grundsätze. Und bei den Dingen die wir tun, gibt es das Prinzip, dass man Sachen gemeinsam miteinander vereinbart und sich darauf einigt, dass die Dinge auch tatsächlich passieren. Insofern ist es bedauerlich, dass das hier nicht geschehen ist. Aber trotzdem bleibt es bei einer klaren Strategie.

Frage: Ja, vielen Dank. Herr Bundeskanzler, Sie haben jetzt gerade erläutert, dass Sie die Mehrheitsverhältnisse, wie sie sich im Parlament darstellen, auch bei den Verhandlungen der Sechsergruppe abgebildet sehen. Das ist die Plattform, die die Mehrheit bildet. Und die verhandelt auch über die Spitzenjobs.

Meine Frage an Sie ist aber bezüglich Frau Meloni. War es klug? Inwiefern war es klug, sie außen vor zu lassen und sie so wütend zu machen wie sie darüber geworden ist? War das eine gezielte politische Strategie? Und wie würden Sie diese Strategie dann bewerten? Es gibt nämlich erhebliche Kritik daran, die sich nicht nur auf Frau Meloni beschränkt.

Bundeskanzler Scholz: Ich wiederhole noch einmal: Es gibt ein Agieren, wo Staaten miteinander handeln und oft auch miteinander sehr konstruktiv umgehen; ganz unabhängig davon, wer sie wie regiert. Das ist der Europäische Rat. Und das ist auch, glaube ich, richtig so in einer Europäischen Union, in der es ja immer wieder Wahlen gibt und immer wieder Regierungen wechseln und sowieso der Wechsel ja ein Teil von Demokratie und unserem Leben ist.

Und ansonsten ist es aber so, dass es in jeder Demokratie dazugehört, dass sich in einem Parlament Mehrheiten bilden. Mehrheiten, die ja vielleicht auch darüber gebildet werden, dass man sich über bestimmte Dinge einig ist, zum Beispiel was die Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit betrifft. Und wie wir uns da eine gute Zukunft vorstellen, trotz der politischen Differenzen, die ja auch zwischen diesen drei Parteienfamilien existieren. Und wir haben gesehen, dass es bei den Europawahlen ein Erstarken rechtspopulistischer Parteien und Kräfte gegeben hat. Deshalb ist es ein gutes Zeichen, dass die insgesamt ja nicht sehr geschwächte Zusammenarbeit dieser drei Parteienfamilien sich wiedergefunden hat. Und das ist auch gut für Europa.

Frage: Herr Bundeskanzler, ich möchte fragen, wie Sie die politische Lage in Frankreich bewerten. Haben Sie das Thema mit Emmanuel Macronheute diskutiert? Und was wären Ihrer Meinung nach die Folgen, wenn der Regierungschef in zwei Wochen in Frankreich Jordan Bardella heißt?

Bundeskanzler Scholz: Es würde Sie ja sehr wundern, wenn ich mit meinem Freund Emmanuel Macronnicht über die Lage sprechen würde. Das gehört eigentlich dazu, dass man das immer mal wieder macht. Nicht nur heute, sondern auch bei anderen Gelegenheiten.

Ansonsten wissen Sie ja, wo ich politisch stehe und dass ich natürlich hoffe, dass zum Beispiel Parteien, die mir näherstehen als andere, da erfolgreicher sind. Und wie das dann wird, werden wir sehen, wenn wir wissen, wie es ist.

Also, das Ergebnis sollte man ja nicht antizipieren, denn die Demokratie hat ja die schöne Eigenschaft, dass die Wählerinnen und Wähler entscheiden und nicht diejenigen, die vorher vorhersagen, wie es ausgeht. Das sage ich aus eigener Erfahrung, davon habe ich schon öfter profitiert.

Frage: Herr Bundeskanzler, können Sie bestätigen, dass Sie im Gespräch mit dem Luxemburger Premierminister Luc Frieden ihn gebeten haben, den Spitzenkandidaten von den Sozialdemokraten, Nicolas Schmit, als Kommissar vorzuschlagen?

Bundeskanzler Scholz: Ich bestätige, dass Nicolas Schmit ein ganz toller Kommissar war und ein großartiger Spitzenkandidat.

Frage: Herr Bundeskanzler, ich möchte kurz noch mal auf die Meloni-Frage zurückkommen. Was das Europäische Parlament macht, das wird man sehen, da haben die Regierungschefs ja auch keinen Einfluss darauf. Aber es gibt eine andere Möglichkeit, und darauf hat der niederländische Premier Mark Rutte hingewiesen. Er hat gesagt, er gehe davon aus, dass Italien nicht isoliert wird und ein viel zu wichtiges Land sei, das man nicht so beiseiteschieben kann. Und er glaube, dass es eine Lösung gäbe, Italien in der künftigen Europäischen Kommission mit einem wichtigen Posten zu verankern. Was können Sie denn dazu sagen? Gibt es dazu Absprachen?

Wissen Sie, ob die Frau von der Leyen mit Frau Meloni über diese Sache gesprochen hat beziehungsweise gibt es da eine Perspektive?

Bundeskanzler Scholz: Ich möchte noch einmal auf das verweisen, was ich eben gesagt habe, dass die drei Parteienfamilien sich zusammengesetzt haben im Rat, um eine gemeinsame Position zu identifizieren für einen Vorschlag, der auch im Parlament eine Mehrheit finden kann. Das hat etwas damit zu tun, dass das das Typische im Parlament ist, dass Parteien eine Mehrheit bilden, die in diesem Fall nicht eine Regierung, aber die Kommissionspräsidentin tragen muss.

Aber das ändert nichts daran, dass im Rat 27 Staaten miteinander zusammenarbeiten, dass in der Kommission alle 27 Staaten Kommissare und Kommissarinnen haben werden. Und dass es richtig ist, dass sich alle Staaten dort auch angemessen wiederfinden. Das gilt für alle Länder und selbstverständlich auch für ein Gründungsland der Europäischen Union, das so groß ist wie Italien.

Deshalb noch einmal: Im Rat geht es nicht um Mehrheit und Minderheit, auch nicht um parteipolitische Formationen. Und das ist eine Frage, die im Parlament eine Rolle spielt. Aber der Rat muss einen Vorschlag machen, der im Parlament eine Mehrheit findet, das haben wir heute geschafft. Hoffen wir.

Frage: Herr Bundeskanzler, ich würde gerne wissen: Sie haben sich heute bei der strategischen Agenda sehr, sehr engagiert und sich mit Macronnoch einmal für manche Punkte eingesetzt, die bisher vielleicht noch gefehlt haben.
Ich würde gern wissen: Haben Sie sich da schon länger mit ihm zusammengetan und überlegt, was fehlt? Und welche Punkte waren es, die für Sie so wichtig waren, dass Sie die heute nochmal auf den Tisch gelegt haben?

Bundeskanzler Scholz: Das würde ich gerne sagen. Zunächst einmal hatte ich ein Anliegen, das alle Dokumente durchzog, und das ist das, was der Kollege gleich am Anfang gefragt hat. Möchte ich akzeptieren, dass wir Sovereign Bonds, also Eurobonds zur Rüstungsfinanzierung machen? Antwort: Nein. Möchte ich hier vorschlagen, dass aus dem Budget der Europäischen Union nationale Verteidigungshaushalte refinanziert werden? Antwort: Nein.

Möchte ich, dass wir in der Verteidigung besser zusammenarbeiten? Ja, in der Nato, aber selbstverständlich auch mit der industriellen Förderung, die die Europäische Union macht, die Forschungsförderung. Die konkreten Projekte, die dort auch gefördert werden bei der Entwicklung spezieller gemeinsamer Waffensysteme und auch weiterzuentwickeln, darauf ist es auch rausgelaufen. Denn diesen Punkt habe ich in allen Dokumenten in dem Sinne ändern können, dass ich das unterstützen kann und dass das mit den Positionen, die Deutschland in dieser Frage ja auch parteiübergreifend hat, übereinstimmt.

Und ansonsten würde ich jetzt sagen, ist das Dokument, das wir zur strategischen Agenda gefunden haben, jetzt der Stand der Dinge. Und um einen Konsens zu ermöglichen, fehlt es an der einen oder anderen Stelle vielleicht noch an der großen Ambition, die wir ja noch entwickeln können, wenn es um das Programm der Kommission geht, das wir später diskutieren werden. Und wir hatten schon die Idee, dass man noch an ein, zwei Stellen ambitionierter sein könnte, was Wettbewerbsfähigkeit betrifft etwa oder was die Entwicklung des europäischen Kapitalmarktes betrifft oder was die Fragen betrifft, auch der notwendigen Transformation, etwa wenn es um Klima und Umweltfragen, aber auch industrielle Modernisierung geht.

Das ist jetzt ein gutes Dokument. Man kann es natürlich noch besser machen und da haben wir gedacht, das wäre doch vielleicht eine gute Sache. Aber alle waren jetzt froh, dass sie überhaupt was hatten. So ist es dann.