WHO - World Health Organization Regional Office for Europe

08/29/2024 | Press release | Distributed by Public on 08/29/2024 17:28

Neuer Bericht der WHO verzeichnet alarmierenden Rückgang der Kondomnutzung unter Jugendlichen und erhöhtes Risiko für sexuell übertragbare Infektionen und ungewollte[...]

Kopenhagen, 29. August 2024

Neuer Bericht bringt hohe Raten ungeschützten Geschlechtsverkehrs unter Jugendlichen in ganz Europa und deren erhebliche Auswirkungen auf Gesundheit und Sicherheit ans Licht

Aus einem Dringlichkeitsbericht des WHO-Regionalbüros für Europa geht hervor, dass der Kondomgebrauch unter sexuell aktiven Jugendlichen seit 2014 deutlich zurückgegangen ist, wobei die Raten ungeschützten Geschlechtsverkehrs besorgniserregend hoch sind. Dadurch setzen sich junge Menschen einem erheblichen Risiko für sexuell übertragbare Infektionen und ungeplante Schwangerschaften aus. Die neuen Daten wurden im Rahmen der mehrteiligen HBSC-Studie über das Gesundheitsverhalten von Kindern im schulpflichtigen Alter veröffentlicht, bei der zwischen 2014 und 2022 über 242 000 15-Jährige in 42 Ländern und Regionen befragt wurden.

Weitreichende Folgen ungeschützten Geschlechtsverkehrs

Insgesamt wird in dem Bericht hervorgehoben, dass ein erheblicher Anteil der sexuell aktiven 15-Jährigen ungeschützten Geschlechtsverkehr hat, was laut WHO weitreichende Folgen für junge Menschen haben kann, darunter ungewollte Schwangerschaften, unsichere Abtreibungen und ein erhöhtes Infektionsrisiko in Bezug auf Geschlechtskrankheiten. Die hohe Prävalenz von ungeschütztem Geschlechtsverkehr deutet auf erhebliche Lücken in Bezug auf eine umfassende altersgerechte Sexualerziehung, einschließlich Aufklärung über sexuelle Gesundheit, sowie beim Zugang zu Verhütungsmitteln hin.

Besorgniserregender Rückgang des Kondomgebrauchs

Im Vergleich zu 2014 zeigen die neuen Daten einen deutlichen Rückgang der Zahl der Jugendlichen, die angaben, beim letzten Geschlechtsverkehr Kondome benutzt zu haben. Aus den Daten geht klar hervor, dass der Rückgang des Kondomgebrauchs in vielen Ländern und Regionen zu beobachten ist, wobei er in einigen Ländern dramatischer ausfällt als in anderen.

Die Autoren des Berichts unterstreichen den dringenden Bedarf an gezielten Maßnahmen, die diesen besorgniserregenden Trends entgegenwirken und sichere Sexualpraktiken unter jungen Menschen fördern, und zwar im Rahmen breiterer Anstrengungen, sie mit den Grundlagen auszustatten, die sie für ein Höchstmaß an Gesundheit und Wohlbefinden benötigen.

"Die Ergebnisse des Berichts sind zwar bestürzend, aber nicht überraschend", sagt Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa. "Eine umfassende altersgerechte Sexualaufklärung wird in vielen Ländern nach wie vor vernachlässigt, und dort, wo sie angeboten wird, ist sie in den letzten Jahren zunehmend unter der falschen Prämisse kritisiert worden, dass sie zu sexueller Aktivität ermutigt, während es in Wahrheit so ist, dass junge Menschen mit dem richtigen Wissen zur rechten Zeit dank verantwortungsbewussten Verhaltens und entsprechender Entscheidungen zu optimalen gesundheitlichen Ergebnissen gelangen. Wir ernten die bitteren Früchte dieser reaktionären Bestrebungen, und es wird noch schlimmer kommen, wenn Regierungen, Gesundheitsbehörden, Bildungswesen und andere wesentliche Akteure nicht die eigentlichen Ursachen der gegenwärtigen Situation erkennen und etwas dagegen unternehmen. Wir brauchen sofortige und dauerhafte Maßnahmen, die sich auf Daten und Fakten stützen, um diese Kaskade negativer Folgen zu stoppen, zu denen die Wahrscheinlichkeit höherer Raten sexuell übertragbarer Infektionen, höherer Gesundheitskosten und nicht zuletzt unterbrochener Bildungs- und Berufswege für junge Menschen gehört, die nicht rechtzeitig die Informationen und Unterstützung erhalten, die sie brauchen."

Wichtigste Ergebnisse des Berichts

  • Rückgang des Kondomgebrauchs: Der Anteil der sexuell aktiven Jugendlichen, die beim letzten Geschlechtsverkehr ein Kondom benutzten, sank zwischen 2014 und 2022 von 70 % auf 61 % bei Jungen und von 63 % auf 57 % bei Mädchen.
  • Hohe Raten ungeschützten Geschlechtsverkehrs: Fast ein Drittel der Jugendlichen (30 %) gab an, beim letzten Geschlechtsverkehr weder ein Kondom noch die Antibabypille benutzt zu haben - eine Zahl, die sich seit 2018 kaum verändert hat.
  • Sozioökonomische Unterschiede: Jugendliche aus einkommensschwachen Familien gaben häufiger an, beim letzten Geschlechtsverkehr kein Kondom oder die Pille benutzt zu haben, als Gleichaltrige aus wohlhabenderen Familien (33 % gegenüber 25 %).
  • Verwendung der Antibabypille: Der Bericht zeigt, dass die Verwendung der Antibabypille beim letzten Geschlechtsverkehr zwischen 2014 und 2022 relativ stabil geblieben ist. So gaben 26 % der 15-Jährigen an, dass sie oder ihre Partner beim letzten Geschlechtsverkehr die Antibabypille verwendet haben.

Notwendigkeit einer umfassenden Sexualerziehung

Die Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig es ist, junge Menschen umfassend über sexuelle Gesundheit aufzuklären und ihnen entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen. "Für Jugendliche ist der Zugang zu korrekten Informationen über sexuelle Gesundheit ungeheuer wichtig", sagt Éabha, eine 16-Jährige aus Irland. "Wir brauchen Bildung, die alles von der Einwilligung bis zur Verhütung abdeckt, damit wir mündige Entscheidungen treffen und uns schützen können."

"Eine umfassende Sexualerziehung ist der Schlüssel, um diese Lücken zu schließen und alle jungen Menschen in die Lage zu versetzen, in einer besonders anfälligen Lebensphase, beim Übergang vom Jugend- zum Erwachsenenalter, mündige Entscheidungen über Sex zu treffen", sagte Dr. András Költő von der Universität Galway, der Hauptautor des Berichts. "Aber die Aufklärung muss über die reine Information hinausgehen. Junge Menschen brauchen sichere Räume, um über Themen wie Zustimmung, intime Beziehungen, Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung zu diskutieren, und wir - Regierungen, Gesundheits- und Bildungsbehörden und auch zivilgesellschaftliche Organisationen - sollten ihnen dabei helfen, wichtige Lebensfertigkeiten zu entwickeln; dazu gehören auch eine transparente, nicht wertende Kommunikation und entsprechende Entscheidungsprozesse."

Ein Fahrplan zum Handeln - trotz besorgniserregender Trends

Obwohl die Ergebnisse ernüchternd sind, beinhalten sie doch auch einen Fahrplan für das weitere Vorgehen.

Der Bericht fordert nachhaltige Investitionen in eine umfassende altersgerechte Sexualerziehung, jugendfreundliche Angebote im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit sowie eine unterstützende Politik und Umfelder, die sich positiv auf Gesundheit und Rechte von Jugendlichen auswirken.

"Die Ergebnisse dieses Berichts sollten als Auslöser für Maßnahmen dienen. Jugendliche verdienen es, dass man sie mit Wissen und Mitteln ausstattet, die sie für mündige Entscheidungen über ihre sexuelle Gesundheit benötigen. Wir haben die Erkenntnisse, die Instrumente und die Strategien, um die sexuelle Gesundheit von Jugendlichen zu verbessern. Was wir aber brauchen, sind der politische Wille und die Mittel, um dies zu verwirklichen", sagte Dr. Margreet de Looze von der Universität Utrecht, eine der Mitverfasserinnen des Berichts.

Handlungsappell an Politik und Bildungswesen

Das WHO-Regionalbüro für Europa ruft politische Entscheidungsträger, Pädagogen und die Gesundheitsberufe dazu auf, der sexuellen Gesundheit von Jugendlichen besondere Aufmerksamkeit zu widmen, und zwar durch:
  • Investitionen in eine umfassende Sexualaufklärung: Umsetzung und Finanzierung evidenzbasierter Sexualaufklärungsprogramme an Schulen, die ein breites Spektrum an Themen abdecken, u. a. Verhütung, sexuell übertragbare Krankheiten, Einverständnis, gesunde Beziehungen, Gleichstellung der Geschlechter und LGBTQIA+ (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Queer, Fragende, Intersexuelle, Asexuelle, Plus). In diesem Zusammenhang ist der Internationale fachliche Leitfaden zur Sexualerziehung, der von einem Konsortium von Organisationen und Partnern der Vereinten Nationen erstellt wurde, von zentraler Bedeutung.
  • Verbesserung des Zugangs zu jugendgerechten Angeboten im Bereich der sexuellen Gesundheit: Sicherstellung, dass Jugendliche überall Zugang zu vertraulichen, unvoreingenommenen und bezahlbaren Angeboten im Bereich der sexuellen Gesundheit haben, die ihren spezifischen Bedürfnissen und Wünschen entsprechen.
  • Förderung eines offenen Dialogs: Ermutigung zu offenen und aufrichtigen Gesprächen über sexuelle Gesundheit in Familien, Schulen und Gemeinden, um die Stigmatisierung zu bekämpfen und das Bewusstsein zu schärfen.
  • Ausbildung von Pädagogen: Bereitstellung spezieller Schulungen für Lehrer und Gesundheitsfachkräfte, um ihnen eine wirksame und inklusive Sexualaufklärung zu ermöglichen. Solche Ressourcen sollten sowohl in der schulischen als auch der außerschulischen Umgebung zur Verfügung gestellt werden.
  • Durchführung weiterer Forschungsarbeiten: Untersuchung der Gründe für den Rückgang des Kondomgebrauchs, aber auch der Unterschiede zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Bezug auf das Sexualverhalten, um so gezielte Maßnahmen zu ermöglichen. Dazu gehört die Analyse von Botschaften und anderen Inhalten, mit denen Jugendliche in den sozialen Medien und auf Online-Plattformen konfrontiert werden, aufgrund deren Reichweite und Wirkung.
"Letztlich geht es uns darum, den jungen Menschen eine solide Grundlage für das Leben und die Liebe zu geben", sagt Dr. Kluge. "Entscheidend sind die sexuelle und reproduktive Gesundheit und die damit verbundenen Rechte, die sich auf das richtige Wissen zur rechten Zeit sowie die richtigen Angebote für Gesundheit und Wohlbefinden stützen. Indem wir Jugendliche in die Lage versetzen, mündige Entscheidungen über ihre sexuelle Gesundheit zu treffen, schützen und verbessern wir letztlich ihr allgemeines Wohlbefinden. Das ist es, was Eltern und Familien für ihre Kinder anstreben sollten, und zwar überall."