Ver.Di - Vereinte Dienstleinstungsgewerkschaft

09/26/2024 | News release | Distributed by Public on 09/26/2024 03:53

MHH: ver.di startet Urabstimmung über unbefristeten Streik

26.09.2024
Ein Vertreter der Landesregierung und Geschäftsführung signalisiert erste Verhandlungsbereitschaft

Arbeitgeberangebot unzureichend

Bei den Verhandlungen über eine verbindliche, individuell einklagbare Regelung zur Entlastung der Beschäftigten an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) liegen beide Seiten noch weit auseinander. "Der Arbeitgeber hat grundsätzlich akzeptiert, dass schichtgenaue, bedarfsgerechte Personalbesetzungen in den Bereichen festgeschrieben werden und dass Beschäftigte, die dennoch in unterbesetzten Schichten arbeiten müssen, einen Belastungsausgleich in Form zusätzlicher freier Tage erhalten sollen - das ist schon mal gut", sagt ver.di-Landesbezirksleiterin Andrea Wemheuer. "Inhaltlich aber ist das erste Arbeitgeberangebot enttäuschend und weit davon entfernt, die nötige Entlastung zu bringen." Vor diesem Hintergrund hat die ver.di-Tarifkommission heute die Urabstimmung über einen unbefristeten Streik eingeleitet, die vom 27. September bis zum 8. Oktober stattfinden soll.

ver.di-Tarifkommission fordert personelle Mindestbesetzungen

Die ver.di-Tarifkommission an der MHH fordert personelle Mindestbesetzungen für viele Bereiche. Die Klinikleitung und die Landesregierung haben zugestimmt, über wirksame, verlässliche, rechtssichere und individuell einklagbare Entlastungsregelungen zu verhandeln. Niedersachsens Wissenschaftsminister Falko Mohrs (SPD) hatte am ersten Streiktag vor mehr als 700 Streikenden Verständnis für die Forderung nach Entlastung gezeigt und konstruktive Verhandlungen zugesagt.

"Wir zeigen uns und bringen die politisch Verantwortlichen zum Handeln. Das ist ein tolles Gefühl", sagt Thorsten Wurlitz, Pflegepädagoge an der Pflegeschule der MHH. "Schon seit Jahren weisen wir auf die unhaltbaren Zustände hin. Wir können unsere Patient*innen nicht so versorgen, wie es richtig wäre. Immer mehr Beschäftigte steigen aus dem Beruf aus, weil sie nicht mehr können. So geht es nicht weiter." Sollten die Verhandlungen nicht rasch zu guten Ergebnissen führen, sei die Belegschaft zu weiteren Aktionen bereit, so der MHH-Beschäftigte. "Unsere Patientinnen und Patienten liegen uns am Herzen. Wir wollen nicht streiken. Aber wenn es nötig ist, werden wir den Druck noch deutlich erhöhen."

Beschäftigte verschaffen sich Gehör

Corinna Plumeyer, Gesundheits- und Krankenpflegerin in der Zentralen Notaufnahme, ist zufrieden: "Endlich finden wir Gehör. Wenn wir mehr Zeit für eine gute Patientenversorgung haben, hilft das allen." Zudem habe die MHH nun die Chance, sich als attraktive Arbeitgeberin mit guten Arbeitsbedingungen zu profilieren.

Eine einfache Dienstvereinbarung hatten die Beschäftigten im Vorfeld abgelehnt. "Für eine Dienstvereinbarung stehen wir als Personalrat nicht zur Verfügung - schon deshalb nicht, weil hier aus rechtlichen Gründen weniger geregelt werden könnte als in einem Tarifvertrag, wie mittlerweile selbst die Landesregierung zugibt", sagt der Personalratsvorsitzende Nils Hoffmann. Lars Loepert, Medizintechnologe für Radiologie an der MHH und Mitglied der zuständigen ver.di-Tarifkommission sagt:

"Jeden Tag arbeiten wir unter Bedingungen, die sowohl für uns als auch für die Patient*innen unerträglich sind. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren."

Lars Loepert, Medizintechnologe für Radiologie an der MHH

Und deshalb wurde auch gestreikt. Die Versorgung von Notfällen war selbstredend durch eine Notdienstvereinbarung zwischen ver.di und MHH sichergestellt. Weitere Streiks sind nicht ausgeschlossen, doch nun wird erst einmal verhandelt.

Papperlapapp - wo ein politischer Wille ist, ist auch ein Weg

Zuletzt hatte sich am 28. August eine stattliche Delegation von Beschäftigten der MHH vor dem niedersächsischen Landtag eingefunden, um den Vertretern der Landespolitik die Dringlichkeit eines Tarifvertrags Entlastung im direkten Gespräch näherzubringen, so David Matrai, der ver.di-Landesfachbereichsleiter für Gesundheit von Niedersachsen-Bremen. Wie versprochen, hatte sich Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) den Beschäftigten des MHH gestellt sowie der für die medizinische Hochschule zuständige Wissenschaftsminister Falko Mohrs (SPD), der niedersächsische Finanzminister Gerald Heere vom Bündnis 90/Die Grünen, der niedersächsische CDU-Vorsitzende Sebastian Lechner und weitere Landespolitiker*innen. Die Delegation der Beschäftigten erschien gut vorbereitet mit Transparenten und Schildern und machte gegenüber den Landespolitikern deutlich, dass die Beschäftigten nicht von ihrer Forderung nach einem Tarifvertrag Entlastung abweichen würden.

Die Politiker signalisierten zwar Verständnis für die Forderungen nach einen Entlastungstarifvertrag, lehnten entsprechende Verhandlungen aber rundweg ab. Der Grund: Das Land Niedersachen könne Tarifverhandlungen in einem landeseigenen Betrieb nicht freigeben, weil die Tarifgemeinschaft der Länder, in der Niedersachsen Mitglied ist, dies nicht dulde. Papperlapapp, erwiderten die Beschäftigten, wo ein politischer Wille sei, sei auch ein Weg. Das zeigten die Tarifverträge Entlastung, die in anderen Ländern abgeschlossen werden konnten.

Zudem verwiesen die Beschäftigten auf die Haltung der Landesregierung im aktuellen Fall der von Insolvenz bedrohten Meyer-Werft. Hier wolle das Land Niedersachsen aktiv werden, um die tausenden von Arbeitsplätzen zu sichern. "Bei der Meyer-Werft ist die Landesregierung sogar bereit, in erheblichem Umfang finanziell zu investieren und unternehmerische Verantwortung zu übernehmen", schimpfte Gewerkschafter Matei über die ungleiche Priorisierung bei der Sicherung von Arbeitsplätzen.

Was bisher geschah

100 Tage lang hatten Beschäftigte der MHH ihre Forderungen nach einem Tarifvertrag Entlastung an der Uniklinik an ihren Arbeitgeber gestellt. 100 Tage lang hatten das Präsidium der MHH und die Landesregierung Zeit, sich auf den Weg zu Tarifverhandlungen zu machen, so wie es zuvor bundesweit schon in vielen Universitätskliniken möglich war. Die 100 Tage in Hannover sind am 15. August 2024 verstrichen. Tatenlos. Deshalb gab es am 16. August einen ersten Warnstreik. Das Arbeitsgericht Hannover verlangte allerdings, dass ver.di einzelne Forderungen konkretisiert, bevor es weitere Warnstreiks geben darf. Das Urteil zum zuletzt geplanten Warnstreik spricht aber ausdrücklich nicht gegen einen Entlastungstarifvertrag an der MHH.

"Das Gericht hat nicht grundsätzlich gegen unsere Forderung nach einem Entlastungstarifvertrag für die Kolleg*innen an der MHH geurteilt, sondern lediglich zur Schärfung einzelner Forderungen aufgefordert. Wir werden dies zeitnah tun, um dann um so kraftvoller ein Zeichen zu setzen", betonte ver.di-Landesbezirksleiterin Andrea Wemheuer.

Entlastung für alle Berufsgruppen

ver.di hatte noch auf die schriftliche Urteilsbegründung gewartet, um anschließend über das weitere Vorgehen zu beraten. "Fest steht, dass wir uns weiterhin für einen Tarifvertrag Entlastung an der MHH einsetzen, so wie er bereits an 21 anderen Kliniken bundesweit gilt. Wir fordern daher die Landesregierung auf, endlich Tarifverhandlungen zuzustimmen, anstatt mit wechselnden Begründungen juristisch gegen das Grundrecht auf Streik vorzugehen", so Gewerkschafter Matrai.

Unmittelbar nach Ablauf den Ultimatums hatten sich bereits mehrere hundert Beschäftigte der MHH an einem ersten Warnstreik beteiligt. Sie waren zu einer Kundgebung ins Rudolf-Kalweit-Stadion gekommen und hatten deutlich zum Ausdruck gebracht, wie angespannt die Lage an der Uniklinik aus Sicht der Beschäftigten aktuell ist. "Landesregierung und Arbeitgeber hatten 100 Tage Zeit. Ich hatte gehofft, dass sie in dieser Zeit auf uns zukommen", sagte Milena Kortz, Fachkrankenschwester für Anästhesie und Intensivmedizin und ver.di-Teamdelegierte an der MHH. "Wir brauchen einen Tarifvertrag, der allen Berufsgruppen Entlastung bringt", betonte sie.

"Unser Ziel ist es nicht, im Krankenhaus zu streiken. Unser Ziel ist mehr Personal und Entlastung. Um das durchzusetzen, bereiten wir uns auf alles vor."

Milena Kortz, Fachkrankenschwester für Anästhesie und Intensivmedizin an der MHH Hannover

Land und MHH hatten zuletzt nur eine Dienstvereinbarung zwischen der Uniklinik und dem Personalrat der MHH ins Spiel gebracht. ver.di lehnt eine solche Vereinbarung ab, da sie sich erheblich von einem Tarifvertrag unterscheidet. "Sie ist weniger verlässlich, weil es keine automatische Nachwirkung bei Kündigung gibt; die Gewerkschaft ist außen vor und kann nicht mit Arbeitskampfmaßnahmen Druck machen; sie kann nicht regeln, was üblicherweise in Tarifverträgen geregelt wird", sagte ver.di-Fachbereichsleiter David Matrai. Zudem könnten die Krankenkassen sich nicht - wie bei einer tariflichen Regelung - in erheblichem Umfang an der Finanzierung beteiligen. "Deshalb lehnen wir einen niedersächsischen Sonderweg ab und halten an der Forderung nach einem Tarifvertrag fest", so Matrai.

Zur Halbzeit des Ultimatums hatten am 27. Juni die Beschäftigten der MHH mit einer Kundgebung in Hannovers Innenstadt auf ihre Forderungen nach einem Tarifvertrag Entlastung aufmerksam gemacht.

Die Forderungen der Krankenhausbewegung MHH, die nun noch weiter geschärft werden sollen, lauten:

Bessere Pflege: Ein neuer "Tarifvertrag Entlastung" für bedarfsgerechte Personalschlüssel zur Versorgung der Patient*innen
Entlastung: Belastungsausgleich durch freie Tage bei Unterschreitung der vereinbarten Personalschlüssel
Nachwuchs: Verbesserungen bei der Ausbildungsqualität

Am 8. Mai 2024 hatten Pfleger*innen der MHH ihre Forderungen an ihren Arbeitgeber übergeben, ein 100-Tage-Ultimatum gestellt und Warnstreiks angekündigt, sollte es im Rahmen der Frist keine tarifvertragliche Lösung geben.

"Die MHH-Beschäftigten fordern lediglich ein, was in der Mehrzahl der Universitätskliniken bereits gelebt wird."

ver.di-Landesbezirksleiterin Andrea Wemheuer

Bislang lehnt das Präsidium der MHH Tarifverhandlungen ab und verweist auf eine Zuständigkeit der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL). Die wiederum zögert mit der Aufnahme von Verhandlungen, obwohl es bundesweit mittlerweile in der Mehrzahl der Universitätskliniken ähnliche Tarifverträge gibt. ver.di fordert nun vom Land Niedersachsen, initiativ zu werden, um einen solchen Tarifvertrag zu ermöglichen.

"Es ist höchste Zeit für konstruktive Tarifverhandlungen, anstatt mit einem Zuständigkeits-Ping-Pong wertvolle Zeit zu verlieren", sagte ver.di-Landesbezirksleiterin Andrea Wemheuer. Die Beschäftigten hätten mit ihrem Ultimatum dokumentiert, dass ihre Geduld endlich sei. "Die Landesregierung sollte nun initiativ werden und einen landesweiten Leuchtturm guter Arbeit in der Spitzenmedizin ermöglichen."

Mehr dazu in der ver.di publik: Ein Akt der Notwehr