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23.08.2024Nahostkonflikt

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Das Entsetzen über das Leid im Nahen Osten ist gross, ein Ende der Gewalt ist nicht in Sicht. Ein vielfältig besetztes Podium an der UZH suchte nach historischen und politischen Erklärungen, liess aber auch Raum individuelle Erfahrungen und zeigte, was Empathie bewirken kann.
David Werner
Auf dem Podium (von links): Konrad Schmid, Elham Manea, Frank Rühli, Nicole Freudiger (Moderatorin), Jasr Kawkby und Dina Pomeranz.

Jasr Kawkby ist Kinderarzt am Stadtspital Triemli. Er stammt aus dem Gazastreifen und hat dort Familienangehörige und Freunde. Auf dem Podium an der UZH spricht er über seine emotionale Bindung an das Land seiner Kindheit, in dem seit vielen Monaten Gewalt und Zerstörung den Alltag bestimmen. Seine Angehörigen leben in grosser Unsicherheit, müssen ständig umziehen. Einigen von ihnen hat der Krieg das Leben gekostet. Manchmal erreichen ihn die Nachrichten darüber, wie es seinen Nächsten im Gazastreifen ergeht, erst mit Verzögerung. Momentan zum Beispiel sei der Kontakt gerade wieder unterbrochen. Angst, Trauer und quälende Ungewissheit seien seine ständigen Begleiter, sagt Kawkby.

Tiefe Erschütterung

Neben Jasr Kawkby sitzt auf dem Podium die Ökonomieprofessorin Dina Pomeranz. Sie erzählt von intensiven, teils widerstreitenden Gefühlen angesichts des Leids im Nahen Osten. Sie fühlt sich Israel verbunden, viele ihrer jüdischen Verwandten leben in Israel. Sie macht sich Sorgen um die Zukunft des Landes. «Es hat immer Gewalt gegeben in der Region, aber nun hat die Gewalt eine andere Qualität angenommen», sagt sie. Die Terrorangriffe vom 7. Oktober 2023 hätten auch die jüdische Community in der Schweiz tief erschüttert. Die Angst nehme zu, ebenso die Sorge darüber, in welche Richtung sich Israel bewege. Dazu komme das wachsende Unbehagen angesichts des zunehmenden Antisemitismus in Europa. Pomeranz erinnert an die lange Geschichte der Judenfeindlichkeit und der Diskriminierung von jüdischen Menschen, auch in der Schweiz. «Meine Mutter durfte noch in den Sechzigerjahren als Jüdin in der Schweiz nicht Lehrerin werden», erzählt sie.

Mehr Empathie wagen

Dina Pomeranz wirbt auf dem Podium nachdrücklich für mehr Empathie. Die politische und historische Debatte verdecke oft den Blick auf die leidenden Menschen in der Gegenwart. Die Erfahrungen beider Seiten ähnelten sich, trotzdem höre man einander viel zu wenig zu, meist habe man nur Augen und Ohren für das Leid auf der eigenen Seite und suche das Unrecht nur auf der anderen. «Beide Seiten sind schwer traumatisiert, und Traumata erschweren die Empathie», sagt Pomeranz.

Religiös und emotional aufgeladen

Auch Politikwissenschaftlerin Elham Manea, die aus dem Jemen stammt, hält Empathie für einen wichtigen Schlüssel, um Konflikte zu lösen. Es brauche aber auch Faktenwissen, um sich in die Perspektive der anderen Seite versetzen zu können. Ohne das Wissen um die handlungsbestimmenden Motive und deren historische Hintergründe sei kein wirkliches gegenseitiges Verständnis möglich. «Die Menschen wachsen mit einseitigen Narrativen und Erklärungsmustern auf», sagte Manea, das erschwere den Weg zum Frieden

Auf die extreme «emotionale und religiöse Aufladung» des Nahostkonflikts kommt auch Konrad Schmid, Professor für alttestamentliche Wissenschaft und frühjüdische Religionsgeschichte, zu sprechen. Um zu verstehen, wie es dazu kam, brauche es eine auf lange Zeiträume gerichtete Perspektive. Das Gefühl der Demütigung der islamischen Welt durch die aufstrebenden Länder des Westens seit dem 18. Jahrhundert sei einer der Faktoren. Ein weiterer Faktor sei die religiöse Aufladung der ehemals säkularen und sozialistischen zionistischen Bewegung seit den 1960er-Jahren.

Gegensätzliche Erklärungsmuster

Die Erklärungsmuster des Nahostkonflikts klaffen stark auseinander - nicht nur im Nahen Osten selbst, sondern weltweit. «Je nachdem, wo man lebt, sieht man den Konflikt ganz anders», sagt Schmid. Für viele afrikanische, asiatische Länder oder lateinamerikanische Länder, die aus ehemaligen europäischen Kolonien hervorgegangen sind, sei die Gründung des Staates Israel 1948 und die Vertreibung und Flucht der Palästinenser:innen der zentrale historische Bezugspunkt. In den westlichen Staaten dominiere dagegen eine Sichtweise, in deren Zentrum der Holocaust und die jahrhundertelange Judenverfolgung in Europa stünden.

Jasr Kawkby sagte dazu, er schätze und respektiere das europäische Verantwortungsgefühl gegenüber Israel, vermisse aber ein entsprechendes Verantwortungsgefühl gegenüber der palästinensischen Seite.

Kleine Schritte statt grosser Würfe

Mit einer baldigen Lösung des Konflikts rechnet keiner der Podiumsteilnehmenden. Der Weg sei weit und das Ziel nur in kleinen Schritten zu erreichen, sagt Politikwissenschaftlerin Elham Manea. Ohne gegenseitige Anerkennung des geschehenen Leids sei Frieden kaum vorstellbar. Es brauche gemeinsame Projekte und Mut zu langfristiger Kooperation unter den Führungsverantwortlichen, um Vertrauen aufzubauen. Internationaler Druck sei dazu dringend vonnöten. Der Nahostkonflikt müsse im Zusammenhang mit anderen Krisenherden im weiteren Umfeld gesehen werden, so etwa mit den Kriegen im Jemen und im Sudan, sagt Manea. Wichtig sei zudem, «out of the box» zu denken, also neue Friedensmodelle wie zum Beispiel eine Konföderation in Erwägung zu ziehen, statt sich auf eine Ein- oder Zweistaatenlösung zu fixieren.

Dialog statt Spaltung

Was können Menschen in der Schweiz, die zu keiner der Konfliktparteien einen direkten Bezug haben, zur Eindämmung des Konflikts beitragen? Dina Pomeranz empfiehlt, sich um Offenheit zu bemühen, zuzuhören und Fragen zu stellen, statt vorschnell Partei zu ergreifen. Sie warnt davor, die eine gegen die andere Seite auszuspielen, also zum Beispiel Antisemitismus als Argument gegen den Islam ins Feld zu führen. «Statt Öl ins Feuer zu giessen, sollte man jene unterstützen, die sich für Frieden einsetzen», sagt sie.

Am Ende der lebendig geführten und von Nicole Freudiger umsichtig moderierten Diskussion kann auch das Publikum Fragen stellen. Unter den Teilnehmenden im ausgebuchten Saal sind viele Studierende. Auf die Frage einer Zuhörerin, ob es auch Zeichen der Hoffnung gebe, verweist Jasr Kawkby auf die Tatsache, dass er hier zusammen mit Dina Pomeranz am Podium teilnehme.

Organisiert wurde die Diskussionsveranstaltung vom Zentrum für Krisenkompetenz. Frank Rühli, Co-Direktor des Zentrums, nennt am Ende der Veranstaltung nochmals die Absicht der Veranstaltung: Ein differenzierter Austausch aus unterschiedlichen Perspektiven sei geplant gewesen. Dieses Ziel hat die Veranstaltung erreicht.

David Werner, UZH Kommunikation

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