Universität Siegen

09/27/2024 | Press release | Distributed by Public on 09/27/2024 00:28

Intelligente Technik für ein besseres Leben im Alter

Intelligente Technik für ein besseres Leben im Alter

Wissenschaftler*innen der Universität Siegen haben zusammen mit einem internationalen Team einen virtuellen Coach für ältere Menschen entwickelt. Er soll die Gesundheit und Lebensqualität verbessern. Das System wurde von Senior*innen in vier Ländern getestet und ist auf dem Weg zur Marktreife.

Ein kleiner weiß-roter Roboter namens NAO zieht in den eigenen vier Wänden ein. Man kann ganz normal mit ihm sprechen - der Roboter erkennt dabei sogar an der Stimme, ob man gerade glücklich oder traurig ist. Durch die Kopplung mit einer Smartwatch und weiteren Sensoren in der Wohnung weiß NAO außerdem, ob sich der Bewohner/die Bewohnerin ausreichend bewegt: Bei viel Bewegung gibt es ein Lob, bei zu wenig Bewegung eine entsprechende Erinnerung. Durch solche und viele weitere Impulse sollen ältere Menschen dazu ermächtigt werden, möglichst lange unabhängig und aktiv zu bleiben. Der virtuelle Coach soll sowohl das körperliche als auch das mentale Wohlbefinden im Alter stärken.

In dem europäisch-japanischen Forschungsprojekt e-VITA haben Wissenschaftler*innen der Universität Siegen zusammen mit je elf europäischen und japanischen Partnern den virtuellen Assistenten entwickelt und mit Senior*innen aus vier verschiedenen Ländern getestet. Das System ist in fünf Sprachen verfügbar. Es adressiert die Bereiche Mobilität und körperliche Aktivität, Ernährung, soziale Interaktion und Freizeitgestaltung, Kognition, sowie Stimmung und Spiritualität. Auf der Basis einer an die individuellen Bedürfnisse der jeweiligen Nutzer*innen angepassten künstlichen Intelligenz (KI) unterstützt der virtuelle Coach dabei, sich ausreichend zu bewegen, gesund zu ernähren, empfiehlt kulturelle Veranstaltungen, liest aus der Bibel vor oder erleichtert es, mit der Familie zu chatten oder sich in der Kommune besser zu vernetzen. Auch die Kopplung an gesundheitsrelevante Geräte wie Fitnessarmbänder ist möglich.

"Wir haben den virtuellen Coach gemeinsam mit älteren Menschen entwickelt. Das war uns sehr wichtig, denn eine solche Technik kann nur erfolgreich sein, wenn sie von den Nutzerinnen und Nutzern auch akzeptiert wird", sagt Gesamtprojektleiter Dr. Rainer Wieching von der Universität Siegen. So sind im Rahmen des Projektes neben dem humanoiden Roboter NAO noch sechs weitere Assistenzen entstanden, zwischen denen Senior*innen ja nach persönlichem Geschmack und kultureller Prägung wählen können - darunter ein Hologramm, eine interaktive Statue in Form eines christlichen Engel und ein Roboter, der einer japanischen Daruma-Puppe ähnelt.

140 ältere Menschen in Frankreich, Italien, Japan und Deutschland testeten die virtuellen Assistenten sechs Monate lang in ihrer privaten Umgebung. Betreut wurden sie dabei von Gemeinde- und Sozialarbeiter*innen. Im Anschluss führte das Projektteam standardisierte Messungen sowie qualitative Interviews mit den Senior*innen durch, um die Wirksamkeit der virtuellen Coaches zu bewerten. "Dabei zeigte sich, dass die Mitglieder der Interventionsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe ihr Wohlbefinden als deutlich besser einschätzten. Signifikante Verbesserungen gab es sowohl im körperlichen als auch im emotionalen und sozialen Bereich - allerdings mit verschiedenen Ausprägungen in den Ländern", fasst Rainer Wieching die Ergebnisse zusammen. Durch die Interviews habe das Team außerdem Hinweise erhalten, wie das Coaching-System noch nutzerfreundlicher gestaltet werden kann.

Der Praxistest zeigte auch, dass Senior*innen in Japan die virtuellen Coaches etwa zehn Mal häufiger nutzten als ältere Menschen in den europäischen Ländern. Wieching erklärt das unter anderem damit, dass die Systeme und die zugrunde liegende KI in Japan auf das gesamte Internet zurückgreifen konnten während in Europa nur ausgewählte und zertifizierte Inhalte zur Verfügung standen. "Insgesamt sind wir aber sehr zufrieden. Es ist uns gelungen, ein funktionales und multilinguales System zu entwickeln, das in verschiedenen Ländern genutzt werden kann", sagt Wieching. Sowohl in Japan als auch in europäischen Ländern könnten durch die Einführung der virtuellen Coaches Gesundheitskosten durch Prävention gesenkt werden, ist das Projektteam überzeugt. Das habe ein im Projekt entwickeltes Schätzungsmodell in Bezug auf verschiedene Krankheitsbilder wie Depressionen oder körperliche Vorerkrankungen gezeigt.

In Zusammenarbeit mit Stakeholdern in Japan und Europa arbeiten die Wissenschaftler*innen nun daran, das im Projekt entwickelte System auf den Markt zu bringen. "Ebenso wie Japan kämpfen auch viele europäische Länder mit einer alternden Bevölkerung. Potenzial sehen wir insbesondere in ländlichen Gebieten, in denen es an Pflegekräften und medizinischem Personal mangelt", sagt der Siegener Professor für Wirtschaftsinformatik und Neue Medien und Prorektor für Wissenschaft, Technik und Gesellschaft, Volker Wulf. Direkte Anknüpfungspunkte sieht er auch in der Region Südwestfalen: "Die Universität Siegen treibt hier im Projekt FUSION die Transformation des ländlich-industrialisierten Raumes voran. Gesundes Altern mit neuen Möglichkeiten der Digitalisierung ist ein wichtiger Teil davon, hier können wir ganz direkt an die Ergebnisse von e-VITA anknüpfen."

Hintergrund:
Finanziert wurde das dreijährige Projekt e-VITA durch das EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation, "Horizont 2020" sowie durch eine öffentliche Finanzierung aus Japan mit jeweils rund vier Millionen Euro. Die Universität Siegen erhielt davon etwa 750.000 Euro. Seitens der Universität Siegen waren die Arbeitsgruppen "Wirtschaftsinformatik und neue Medien" sowie "Erlebnis und Interaktion" unter Leitung von Prof. Dr. Volker Wulf und Prof. Dr. Marc Hassenzahl beteiligt. Die Gesamtprojektleitung und Koordination lag bei Dr. Rainer Wieching.

Kontakt:
Dr. Rainer Wieching (Gesamtprojektleiter Universität Siegen)
Tel.: 0271-740 3019
E-Mail: [email protected]


Dr. Rainer Wieching hat das Projekt e-VITA seitens der Universität Siegen geleitet. (Foto: Sascha Hüttenhain)

Aktualisiert via XIMS am 27.9.2024, von T.Hoffmann